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Kind 44

Kind 44

Titel: Kind 44 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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Lebensmittelladen an. Es würde mehrere Stunden dauern, bis die Schlange im Innern des Ladens angekommen war. Dort würden die Leute ihre Bestellung abgeben und anschließend in einer zweiten Schlange warten, um zu bezahlen. Nach diesen zwei Schlangen gab es eine dritte, um die Waren in Empfang zu nehmen. Sie konnten problemlos bis zu vier Stunden in einer dieser drei Schlangen verbringen und unauffällig darauf warten, dass Iwan nach Hause kam.
    Nachdem sie Galina Schaporina nicht zum Reden hatten bewegen können, bestand die Gefahr, mit leeren Händen aus Moskau zurückzukehren. Raisa war aus der Wohnung geschoben worden, und man hatte ihr die Tür vor der Nase zugeschlagen. Sie hatte im Flur gestanden, umringt von Nachbarn, von denen viele vielleicht Informanten waren, und es war unmöglich gewesen, einen zweiten Versuch zu wagen. Vielleicht hatten Galina und ihr Mann schon die Staatssicherheit informiert, obwohl Leo das nicht für wahrscheinlich hielt. Galina glaubte offensichtlich, dass die sicherste Verhaltensweise war, sich aus allem herauszuhalten.
    Wenn sie Raisa und Fjodor zu denunzieren versuchte, bestand die Möglichkeit, dass sie sich selbst belastete oder Aufmerksamkeit auf sich zog. Doch das war nur ein schwacher Trost. Das Einzige, was sie bislang erreicht hatten, war gewesen, Fjodor und seine Familie für ihre Nachforschungen zu gewinnen. Leo hatte Fjodor eingeschärft, alle Informationen, auf die er möglicherweise stieß, an Nesterow zu schicken, da an Leo adressierte Post vermutlich abgefangen wurde. Trotzdem waren sie bei der Identifikation des Mannes, nach dem sie suchten, keinen Schritt weitergekommen.
    Unter diesen Umständen hatte Raisa sich vehement dafür ausgesprochen, sich mit Iwan zu treffen. Welche anderen Möglichkeiten hatten sie denn sonst noch, außer mit leeren Händen zurückzufahren? Zögernd hatte Leo zugestimmt. Raisa war es nicht gelungen, Iwan eine Nachricht zukommen zu lassen. Es gab keine Möglichkeit, ihm einen Brief zu schreiben oder ihn anzurufen. So waren sie also ein kalkuliertes Risiko eingegangen in der Hoffnung, dass er da sein würde. Er verließ Moskau nur selten, und nie für lange. Er fuhr nie in Urlaub, und am Landleben lag ihm nichts. Der einzige Grund, der Raisa einfiel, warum er nicht zu Hause sein könnte, war, dass man ihn verhaftet hatte.
    Was diese Möglichkeit betraf, konnte sie nur hoffen, dass ihm nichts passiert war.
    Obwohl sie sich freute, ihn wiederzusehen, gab sie sich keinen Illusionen hin, denn die Begegnung würde unangenehm werden. Sie hatte schließlich Leo bei sich, einen Mann, den Iwan genauso verabscheute wie alle MGB-Beamten. Bei dieser Regel kannte er keine Ausnahmen. Unter denen gab es einfach keine guten. Und doch war es nicht Iwans Abneigung gegen Leo, die sie am meisten beunruhigte. Es war ihre eigene Zuneigung für Iwan. Sie hatte Leo zwar nie in sexueller Hinsicht betrogen, aber davon abgesehen hatte sie ihn mit Iwan in fast jeder anderen Hinsicht betrogen: intellektuell, emotional und auch durch ihre Kritik hinter seinem Rücken. Sie hatte eine Freundschaft mit einem Mann begonnen, der genau das nicht verkörperte, wofür Leo früher gestanden hatte. Es war eigentlich schrecklich, dass sie diese beiden Männer zusammenbrachte. Sie würde versuchen, Iwan so schnell wie möglich zu erklären, dass Leo nicht mehr derselbe war, dass er sich geändert hatte. Dass sein blindes Vertrauen in den Staat erschüttert war. Sie wollte ihm klarmachen, dass sie sich in ihrem Mann getäuscht hatte. Beide sollten einsehen, dass die Unterschiede zwischen ihnen geringer waren, als sie selbst je geglaubt hatten. Aber dafür bestand wenig Hoffnung.
    Leo freute sich nicht gerade darauf, Iwan zu treffen.
    Raisas Seelenverwandten. Er würde mit ansehen müssen, wie es zwischen ihnen funkte, würde sich den Mann anschauen müssen, den Raisa geheiratet hätte, wenn sie die freie Wahl gehabt hätte. Das tat ihm immer noch weh, mehr als sein Statusverlust, mehr als der Verlust seines Vertrauens in den Staat. Er hatte blind auf die Liebe gebaut. Vielleicht hatte er sich an diese Idee geklammert, um ein Gegengewicht zu dem zu bilden, was er bei seiner Arbeit machte. Vielleicht hatte er an die Liebe glauben müssen, um menschlicher zu sein. Das würde auch die extremen Rechtfertigungen erklären, die er sich zurechtgelegt hatte, um ihre kühle Haltung ihm gegenüber zu erklären. Er hatte sich einfach geweigert, an die Möglichkeit zu denken, dass sie ihn

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