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Kind 44

Kind 44

Titel: Kind 44 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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schließlich viele Leute, die sie nicht mochte, und sie mochte gewiss keinen der Männer, mit denen sie schlief. Wenn sie wählerisch werden wollte, konnte sie das Ganze auch gleich abblasen, einen von den Einheimischen heiraten und sich darin fügen, für immer in dieser Stadt zu bleiben. Ihre Familie wohnte in Leningrad, und auch sie hatte dort gelebt, bis man ihr befohlen hatte, hierher zu ziehen, in eine Stadt, von der sie noch nie gehört hatte. Ihre einzige Möglichkeit, zurück nach Leningrad zu kommen, war, genügend Geld zu sparen, um die Behörden zu bestechen. Hochrangige, mächtige Freunde hatte sie nicht, also brauchte sie dieses Gold.
    Der Mann schenkte ihr nach und sprach sein erstes Wort. »Trink.«
    »Erst bezahlst du mich. Danach kannst du mir sagen, was ich zu machen habe. Das ist die Regel. Übrigens die einzige Regel.«
    Das Gesicht des Mannes geriet in Bewegung, so als hätte man einen Stein ins Wasser geworfen. Eine Sekunde lang konnte sie unter seiner gleichgültigen, plumpen Fassade etwas anderes erkennen, etwas Abstoßendes. Am liebsten hätte sie den Kopf abgewandt.
    Aber das Gold sorgte dafür, dass sie ihn weiter ansah, das Gold hielt sie auf diesem Stuhl. Er zog das Klümpchen aus der Tasche und hielt es ihr hin. Als sie die Hand ausstreckte und es von seiner feuchten Handfläche nahm, packte er zu und umklammerte ihre Finger.
    Es tat nicht weh, aber trotzdem waren ihre Finger gefangen. Entweder ergab sie sich seinem Klammergriff oder sie zog die Hand heraus, ohne Gold. Sie erriet, was von ihr erwartet wurde, kicherte und lachte wie ein hilfloses Mädchen und ließ den Arm hängen. Er ließ los. Sie nahm das Klümpchen und musterte es. Es hatte die Form eines Zahns. Verwirrt schaute sie den Mann an. »Wo hast du den denn her?«
    »In schweren Zeiten verkaufen die Leute alles, was sie haben.« Er lächelte, und ihr wurde übel. Was war denn das für ein Zahlungsmittel? Er schüttete Wodka nach.
    Der Zahn war ihr Fahrschein von hier weg. Sie trank ihr Glas aus.
    ***
    Ilinaja blieb stehen. »Arbeitest du im Sägewerk?«
    Sie wusste, dass er das nicht tat, aber die einzigen Häuser, die es hier gab, waren die für die Sägewerksarbeiter. Er bequemte sich nicht einmal, ihr zu antworten.
    »He! Wo gehen wir hin?«
    »Wir sind fast da.« Er führte sie zum Bahnhof am Stadtrand. Das Bahnhofsgebäude selbst war zwar neu, aber es lag in einem der ältesten Bezirke der Stadt, der nur aus baufälligen hölzernen Einzimmerhütten mit Blechdächern bestand, die sich in den nach Abwasser stinkenden Straßen aneinanderreihten.
    Die Hütten waren für die Leute vom Sägewerk. Zu fünft, sechst oder gar siebt hausten sie in einem Raum.
    Für das, was Ilinaja und der Mann vorhatten, nicht gerade ideal.
    Es herrschte eine Eiseskälte. Ilinaja wurde langsam wieder nüchtern, und die Füße taten ihr weh. »Das geht alles von deiner Zeit ab. Der Goldklumpen ist gut für eine Stunde, so war es ausgemacht. Abzüglich der Zeit, die ich brauche, um wieder ins Restaurant zurückzukommen, hast du ab jetzt noch zwanzig Minuten.«
    »Es ist hinterm Bahnhof.«
    »Da hinten kommt doch nur noch Wald.«
    »Wirst schon sehen.« Er marschierte weiter, bis er neben dem Bahnhof war, und deutete in die Dunkelheit.
    Sie schob sich die Hände in die Jackentaschen, schloss zu ihm auf und spähte in die Richtung, in die er zeigte.
    Sie sah nur Gleise, die sich in der Dunkelheit verloren, sonst nichts.
    »Was gibt’s denn da zu sehen?«
    »Das da.« Er deutete auf ein kleines Blockhaus an den Gleisen, nicht weit vom Waldrand entfernt. »Ich bin Ingenieur. Ich arbeite für die Eisenbahn. Die Hütte gehört der Gleismeisterei. Da sind wir für uns.«
    »In einem Zimmer wären wir auch für uns.«
    »Da, wo ich wohne, kann ich dich nicht mit hinnehmen.«
    »Ich kenne ein paar Orte, wo wir hätten hingehen können.«
    »So ist es besser.«
    »Nicht für mich.«
    »Es gab eine Regel. Ich zahle, du gehorchst. Entweder gibst du mir mein Gold wieder oder du machst, was ich sage.«
    Das Gold war das einzig Gute an der Sache. Er streckte die Hand aus und wartete, dass sie ihm den Zahn zurückgab. Weder sah er wütend aus, noch enttäuscht oder ungeduldig. Seine Gleichgültigkeit fand Ilinaja ermutigend. Sie ging auf das Blockhaus zu. »Du hast zehn Minuten da drinnen, abgemacht?«
    Er antwortete nicht, was sie als Ja auffasste.
    Das Blockhaus war verschlossen, aber er hatte einen Schlüsselbund, und nachdem er mühselig den richtigen

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