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Kind 44

Kind 44

Titel: Kind 44 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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Abstrich. Sie würde sich also ihre Medikamente auf dem Schwarzmarkt besorgen müssen. Das kostete Geld, wahrscheinlich viel Geld, und im Augenblick sparte sie für etwas anderes – ihre Flucht aus dieser Stadt.
    Als sie ankam, war das Restaurant schon voll, die Fenster beschlagen. Die Luft stank nach Machorka, billigem Tabak. Schon 50 Schritt vor dem Eingang hörte sie betrunkenes Gelächter. Vermutlich Soldaten, nahm sie an, und sie hatte richtig geraten. Oft wurden in den Bergen irgendwelche Manöver abgehalten, und die, die gerade keinen Dienst schoben, landeten meistens hier. Für diese Kundschaft hielt Basarow eine Spezialität bereit.
    Er schenkte mit Wasser gepanschten Wodka aus, und wenn sich, wie so oft, jemand beschwerte, behauptete er, das sei eine vorsorgliche Maßnahme, um der Trunkenheit vorzubeugen. Es gab oft Schlägereien. Doch trotz seines Geredes, wie hart das Leben und wie schrecklich seine Kunden waren, wusste sie, dass er mit dem Verkauf seines verdünnten Wodkas ein ganz hübsches Sümmchen verdiente. Er war ein Spekulant, er war Abschaum. Erst vor ein paar Monaten hatte sie, als sie nach oben gegangen war, um ihm seinen wöchentlichen Anteil auszubezahlen, durch eine Ritze in der Schlafzimmertür gesehen, wie er einen Rubelschein nach dem anderen abzählte und dann in einer mit Schnur zugebundenen Blechdose verstaute. Sie hatte ihn beobachtet und kaum zu atmen gewagt, während er die Dose in ein Tuch gewickelt und im Kamin versteckt hatte. Seitdem träumte sie davon, das Geld zu stehlen und abzuhauen. Basarow würde ihr natürlich das Genick brechen, wenn er sie je erwischte. Falls er nicht vorher beim Anblick der leeren Dose direkt vor dem Kamin einen Herzschlag kriegte. Ilinaja war sich ziemlich sicher, dass Basarows Herz und seine Dose ein und dasselbe waren.
    Sie vermutete, dass die Soldaten noch ein paar Stunden weitertrinken würden. Im Augenblick begrapschten sie sie nur, ein Privileg, für das sie nichts zahlten, wenn man den spendierten Wodka nicht als Bezahlung ansah, aber so rechnete Ilinaja nicht. Abschätzend musterte sie die anderen Kunden, überzeugt, dass sie sich noch ein paar Rubel extra würde verdienen können, bevor die Soldaten bei ihr die Stechuhr drückten.
    Das Militärkontingent hatte die vorderen Tische besetzt und die übrigen Gäste auf die hinteren Plätze verdrängt. Jeder von ihnen war allein mit sich selbst und seinem Glas und seinem unberührten Teller. Kein Zweifel: Sie waren auf der Suche nach Sex. Sonst gab es keinen Grund, hier herumzuhängen.
    Ilinaja zupfte ihr Kleid zurecht, kippte ihren Wodka hinunter und bahnte sich, ohne auf die Kniffe und Zoten zu achten, ihren Weg durch die Soldaten, bis sie sich an einem der hinteren Tische wiederfand. Der Mann, der dort saß, war um die vierzig, vielleicht ein wenig jünger. Schwer zu sagen. Er war nicht attraktiv, aber vielleicht würde er deswegen ein bisschen mehr lockermachen. Die gut Aussehenden kamen manchmal auf die Schnapsidee, Geld sei nicht wichtig, als sei das Arrangement zu beiderseitigem Vergnügen. Sie setzte sich an den Tisch, ließ ein Knie an seinem Schenkel hochgleiten und lächelte ihn an. »Ich heiße Tanja.«
    In solchen Zeiten half es manchmal, wenn man vor sich selbst so tat, als sei man eine andere.
    Der Mann zündete sich eine Zigarette an und legte Ilinaja eine Hand aufs Knie. Anstatt ihr richtig etwas zu trinken zu spendieren, kippte er einfach die Hälfte seines Wodkas in eines der vielen schmutzigen Gläser auf dem Tisch und schob es ihr zu. Sie spielte mit dem Glas und wartete darauf, dass er den Mund aufmachte. Er trank aus, machte aber keine Anstalten zu reden. Sie versuchte, sich ein Augenrollen zu verkneifen und die Konversation in Gang zu bringen. »Wie heißt du?«
    Er gab keine Antwort, sondern griff nur in seine Tasche und kramte darin herum. Als er die Hand wieder herauszog, hatte er sie zur Faust geballt. Ihm stand offenbar der Sinn nach einem kleinen Spielchen, und sie sollte mitspielen. Sie tippte ihm auf die Fingerknöchel.
    Er drehte die Faust um und öffnete sie ganz langsam, einen Finger nach dem anderen ...
    Mitten auf seiner Handfläche lag ein kleiner Goldklumpen. Sie beugte sich vor. Bevor sie ihn sich genau ansehen konnte, machte er die Hand wieder zu und schob sie zurück in seine Tasche. Er hatte immer noch kein Wort von sich gegeben. Ilinaja musterte sein Gesicht.
    Er hatte blutunterlaufene, betrunkene Augen, und sie mochte ihn überhaupt nicht. Aber es gab

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