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Kind 44

Kind 44

Titel: Kind 44 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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Schlüssel herausgefischt hatte, kämpfte er mit dem Schloss. »Es ist eingefroren.«
    Statt einer Antwort wandte sie nur den Kopf ab und seufzte zum Zeichen ihres Unmuts. Diskretion war ja schön und gut, und sie hatte gleich geahnt, dass er verheiratet war. Aber er lebte doch nicht einmal in dieser Stadt, wo war also das Problem? Vielleicht übernachtete er bei Verwandten oder Freunden, oder er war ein hochrangiges Parteimitglied. Ihr war das schnuppe. Sie wollte nur die nächsten zehn Minuten möglichst schnell hinter sich bringen.
    Er kauerte sich hin, formte die Hände um das Vorhängeschloss zu einem Trichter und hauchte es an. Der Schlüssel glitt hinein, und das Schloss schnappte auf.
    Ilinaja blieb draußen stehen. Wenn es hier kein Licht gab, konnte er die Sache gleich vergessen, und den Goldzahn würde sie trotzdem behalten. Sie hatte dem Kerl mehr als genug Zeit gelassen. Wenn er sie mit einer Expedition nach nirgendwo verplempern wollte, war das seine Sache.
    Er betrat das Blockhaus und verschwand in der Dunkelheit. Sie hörte ihn ein Streichholz anzünden. Eine Sturmlampe flackerte auf. Der Mann drehte die Flamme hoch und hängte die Lampe an einen verbogenen Haken, der aus dem Dach ragte. Sie linste hinein. Das Blockhaus war voller Ersatzgleise, Schrauben, Bolzen, Werkzeug und Holz. Es roch nach Teer. Er fing an, eine der Werkbänke frei zu räumen. Ilinaja lachte.
    »Da kriege ich ja Splitter in den Hintern.«
    Zu ihrer Überraschung wurde er rot wie ein Schuljunge.
    Er breitete seinen Mantel auf der Arbeitsfläche aus. Sie trat ein. »Wie galant.«
    Normalerweise zog sie den Mantel aus, setzte sich vielleicht aufs Bett und rollte einen Strumpf herunter, gab eine kleine Vorstellung. Aber ohne Bett und Heizung würde sie lediglich ihr Kleid lüpfen und die restlichen Sachen anbehalten.
    »Ich hoffe, du hast nichts dagegen, wenn ich den Mantel anlasse.« Sie schloss die Tür, obwohl das wahrscheinlich auch keinen großen Temperaturunterschied bedeutete. Hier drin war es fast so kalt wie draußen.
    Ilinaja wandte sich um.
    Der Mann war jetzt viel näher bei ihr, als sie in Erinnerung hatte. Für einen Sekundenbruchteil sah sie etwas Metallisches, das auf sie zukam. Es ging zu schnell, als dass sie hätte erkennen können, was es war. Es traf sie seitlich im Gesicht. Schmerz durchfuhr sie, breitete sich vom Kopfüber die Wirbelsäule hinunter in die Beine aus, die Muskeln erschlafften und die Beine knickten ein, als ob man die Sehnen durchtrennt hätte. Sie schlug rückwärts gegen die Tür, sah nur noch verschwommen, ihr Gesicht brannte, sie hatte Blut im Mund. Gleich würde sie umkippen, ohnmächtig werden, aber sie kämpfte dagegen an, zwang sich, wach zu bleiben, und konzentrierte sich auf seine Stimme.
    »Du machst genau, was ich dir sage.«
    Würde er von ihr ablassen, wenn sie sich ihm unterwarf? Die Zahnsplitter, die sich ihr in den Gaumen bohrten, belehrten sie eines Besseren. Auf die Gnade dieses Kerls konnte sie sich nicht verlassen. Wenn sie schon in dieser elenden Stadt verrecken musste, in die irgendein staatlicher Zwangserlass sie verfrachtet hatte, 1700 Kilometer weit weg von ihrer Familie, dann würde sie diesem Scheißkerl wenigstens vorher noch die Augen auskratzen.
    Er umklammerte ihre Arme, vermutlich glaubte er, aller Widerstand sei gebrochen. Ilinaja spuckte ihm einen Mundvoll blutigen Schleim in die Augen. Damit hatte er wohl nicht gerechnet, er ließ los. Sie tastete nach der Tür hinter sich und drückte dagegen. Die Tür schwang auf, und Ilinaja fiel rücklings nach draußen in den Schnee, blieb auf dem Rücken liegen und starrte in den Himmel. Der Mann langte nach ihren Beinen. Wild um sich tretend versuchte sie, von ihm wegzukommen. Er erwischte einen Fuß und zog sie zurück in die Hütte.
    Sie konzentrierte sich und zielte, ihre Ferse erwischte ihn am Kinn. Das hatte gesessen. Sein Kopf flog herum, sie hörte ihn aufjaulen. Er konnte sie nicht mehr festhalten. Sie rollte sich auf den Bauch, rappelte sich hoch und stolperte los.
    Blindlings taumelnd registrierte sie erst nach einigen Sekunden, dass sie geradewegs die Gleise entlang und weg von der Stadt und vom Bahnhof gerannt war. Weg vom rettenden Ufer. Ihr Instinkt hatte ihr befohlen, vor ihm davonzulaufen, und ihr dabei einen Streich gespielt. Sie warf einen schnellen Blick hinter sich. Der Kerl verfolgte sie. Entweder lief sie in dieser Richtung weiter oder wieder auf ihn zu, sonst blieb ihr keine Möglichkeit. Sich an

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