Kind der Nacht
nickte.
»Zweitausend Jahre lang drehte sich im wichtigsten Kult der alten Griechen alles um die Eleusinischen Mysterien. An den nächsten drei Abenden wirst du während des Rituals dasselbe durchleben, was sie in der Antike gemacht haben - den Prozess von Geburt, Tod und Wiedergeburt, den bis auf eine hier jede von ups versteht.« Morianna hielt einen Augenblick inne. »Es wird Zeit.«
Sie erhob sich, und die anderen taten es ihr gleich. Chloe und Jeanette führten Carol hinaus auf den Flur. Susan, Gerlinde, Rene und zuletzt Morianna folgten ihnen. Schweigend stiegen die Frauen in den dritten Stock hinauf und betraten das Zimmer gegenüber von Gerlindes Atelier, einen Raum, in dem Carol noch nie gewesen war.
André saß im Schneidersitz auf einer kleinen Orientbrücke, die über den Teppichboden gebreitet worden war. Auch er war nackt. Er sah Rene an, und in seinen grauen Augen blitzte es auf. Doch dann fiel sein Blick auf Carol, und sie registrierte erleichtert, dass seine Züge sich entspannten. Er wirkte satt, zufrieden. Er lächelte sogar ein wenig,
und sie erwiderte sein Lächeln. Julien, Karl, Claude und Michael standen in einer Ecke beisammen. Aber obwohl sie nackt war, war es ihr nicht peinlich.
Ohne sie zu berühren, führte Morianna Carol zu einem weiteren kleinen Teppich vor dem Kamin und bedeutete ihr, sich darauf niederzulassen, sodass ihre linke Seite dem Kamin und ihre rechte André zugewandt war. Carol kniete sich hin, und sofort machte Morianna sich daran, ein Feuer zu entzünden.
In dem Raum wurde es schnell warm, vor allem für Carol, die sich direkt vor den Flammen befand. Ihre linke Seite pulsierte vor Hitze, und der Schweiß rann ihr aus der Achselhöhle und über den Rücken und verstärkte nun den Duft der Creme, die ihren Körper bedeckte. Nachdem das Feuer erst einmal in Gang geraten war, hörte Morianna auf, Holz nachzulegen, und legte stattdessen etwas auf, das wie ein geflochtenes Seil aussah. Sofort erfüllte ein Duft nach Gras mit einem leichten Hauch Salbei den Raum.
»Kann ich einen Schluck Wasser bekommen?«, fragte Carol Morianna. Die Älteste warf ihr einen Blick zu, ehe sie sich abwandte.
»Dein Durst wird gestillt werden«, sagte sie. Danach herrschte Schweigen.
Carol nahm wahr, wie es in dem Raum aussah, zumindest in der Richtung, in die sie blickte. Dort hatten Möbel gestanden - sie waren weggeräumt worden, so viel verrieten ihr die Abdrücke im Schwarz des Teppichs.
Auf dem Boden neben dem Kamin und entlang der Terrakotta-Wand lagen große Kissen in den guten alten Hexenfarben Mitternachtsschwarz, Dunkelviolett, Orange und Waldgrün. In den beiden Ecken, die sie von ihrem Standpunkt aus einblicken konnte, standen zwei große mit frischen Blumen gefüllte Vasen: orangefarbene Gladiolen,
rote und blaue Tulpen, blassgelbe Tigerlilien, violette und gelbe Schwertlilien und weiße Narzissen. Die drei anderen Wände bestanden aus Spiegeln, ebenso die Decke. Vor ihr erschien von links allmählich der noch nicht ganz volle Mond, bereit, hinter den Bäumen seinen Weg über den klaren Himmel anzutreten. Jemand musste ein Fenster offen gelassen haben, denn sie hörte das Rascheln der Blätter im Wind, aber es kam von hinten, von der anderen Seite des Raumes.
Von einem Kirchturm schlug es zwölf. Aus dem Augenwinkel bekam sie mit, wie Morianna Michael zu André führte, aber sie konnte nicht sehen, was sie da anstellten. Anschließend brachte Morianna den Jungen zu Carol.
Michaels Lippen waren blutverschmiert, aber er grinste übers ganze Gesicht. Morianna flüsterte ihm zu, was er zu tun hatte, und er küsste Carol auf den Mund. Das Blut, wurde ihr klar, musste von André stammen. Es war kalt, ein bisschen schleimig und schmeckte irgendwie roh. Sie musste würgen.
Ihr Sohn hielt ihr einen rechtwinkligen Metallgegenstand entgegen. »Das ist ein Phaser, Mama. Karl und ich haben ihn gestern Abend gekauft. Damit kannst du Klingonen alle machen.«
Es war das erste Mal, dass er sie »Mama« nannte. Instinktiv streckte Carol die Hände aus, um Michael zu umarmen.
»Nein!«, rief Morianna. »Du darfst niemanden berühren. Nimm seine Gabe an und platziere sie mit den anderen in einem Kreis um dich herum.«
Carol nahm den Phaser und legte ihn direkt vor sich auf den Boden. Sobald sie das getan hatte, führte Morianna den Jungen wieder weg. Danach ging Claude zu André, küsste ihn leicht auf den Mund und legte seine Lippen auf
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