Kind der Nacht
der Verwandlung beherrscht. Er kann erschaffen oder zerstören, oft führt er einen nur hinters Licht, aber meist tritt er als Alchimist auf, der aus Unrat Gold macht, Hass in Liebe verwandelt und Liebe in Hass. Die nächste Karte sagt dir, was passieren könnte - Der Teufel.« Die Karte schien das genaue Gegenstück zu den Liebenden zu sein. Ein Mann und eine Frau waren vor einem gehörnten Ungeheuer angekettet. »Sie verheißt Fesselung, Verlust der Freiheit, Versklavung, Betrug.«
Carol lief es kalt über den Rücken. Vielleicht war das ja ein Omen. Womöglich würde André sein Versprechen brechen und sie niemals freilassen. Vielleicht wollte er sie in alle Ewigkeit hier festhalten, sie zum Sex zwingen und seine teuflische dominante Neigung an ihr ausleben, indem er ihr Blut trank, sie schlug, wann immer ihm danach sein mochte, und mit dem Tod bedrohte, sollte sie sich ihm widersetzen, oder auch ganz einfach, weil es ihm gerade in den Sinn kam.
»Die letzte Karte«, sagte Jeanette, »zeigt den möglichen Ausgang deiner Situation.« Sie verfiel in Schweigen.
»Na gut, nun sind wir schon so weit gekommen, dann kannst du mir auch sagen, wie es ausgeht.«
Doch Jeanette schwieg weiter.
Die Tür wurde geöffnet, und Chloe kam herein. Sie trat ohne Umschweife zu ihnen, legte Jeanette die Hand auf die Schulter, und ohne aufzublicken legte Jeanette die ihre darüber. Chloe lächelte Carol an. Diese versuchte, das Lächeln zu erwidern, aber es wollte ihr nicht so recht gelingen.
Sie blickte zurück auf die Karte, über die Jeanette gerade gesprochen hatte. Es war Die Herrscherin. Sie zeigte eine Autorität ausstrahlende Frau auf einem Thron, die einen herzförmigen Schild hielt. Auf dem Schild war ein Kreis mit einem Kreuz, das mit dem Boden verbunden war.
»Interessant«, sagte Chloe.
»Ja«, erwiderte Jeanette. »Was sagst du zu der fünften Position? Ich meine, die Karte ist klar, aber nicht der Zusammenhang. Hier, nimm Platz!« Sie stand auf und überließ Chloe ihren Stuhl.
Nun brütete auch Chloe über der Karte.
Eine ganze Zeit lang tat sich nichts. Keiner in dem Zimmer sagte ein Wort. Die einzigen Laute waren das Prasseln des Feuers und das rhythmische Ticken der Standuhr.
Für Carol schien es, als stünde die Zeit still. Mit einem Mal sah sie alles ganz deutlich.
Der streng aussehende Mann, den sie Julien nannten, erhob sich und legte zwei neue Scheite aufs Feuer. Er blieb in der Hocke davor sitzen und sah in die Flammen. Der angenehme Duft des Zedernholzes erfüllte den Raum. Schließlich stand er auf und ging hinüber zu seiner Frau. Carol würdigte er keines Blickes, fast so als sei sie überhaupt nicht anwesend. Die beiden faszinierten Carol. Sie folgte jeder ihrer Bewegungen mit den Augen. Die anderen in dem Zimmer, Chloe und Karl, der gerade aus dem Fenster sah, schwiegen und rührten sich nicht. Die Szene wirkte wie ein Tableau, als habe jemand die Zeit angehalten.
Carol sah zu, wie Julien ganz dicht hinter Jeanette trat. Er legte ihr die Hände auf die Schultern und ließ sie langsam an ihren nackten Armen hinabgleiten. Carol konnte es förmlich spüren, wie er jede Pore, jeden einzelnen Muskel wahrnahm. Er strich über Jeanettes Ellenbogen, ihre Unterarme und Handgelenke, bis seine Hände auf den ihren zu ruhen kamen. Jeanettes Lider zuckten, und ihre grünen Augen bekamen einen verträumten Ausdruck.
Die Finger der beiden griffen ineinander. Langsam verschränkte er ihr die Arme vor dem Körper; dabei bewegten seine Arme die ihren, bis er sie umfing und sie fest an sich drückte. Sie schloss die Augen. Ihr Kopf sank nach hinten, lehnte sich an seine Schulter. Sanft strich er mit dem Mund über ihr Haar, küsste sie auf die Schläfe, die Stirn, auf ihre Augenlider und die Wange. Langsam wanderte er an ihrem Gesicht herab zum Kinn und tiefer noch, bis seine vollen Lippen schließlich ihren Hals erreichten. Er drückte ihr einen leidenschaftlichen Kuss auf die Kehle, und ihre Lippen öffneten sich sanft, während sie sich an ihn presste. Ihr entfuhr ein leises verzücktes Stöhnen. Der Laut ließ Carol an einen Schrei denken, den sie einmal bei Tagesanbruch im Regenwald gehört hatte. Unheimlich war er über die Baumwipfel gehallt, primitiv, wie aus einer anderen Welt.
Carol schauderte. Was sie sah, diese Hingabe, zog sie völlig in ihren Bann, erfüllte sie mit Bewunderung und Ehrfucht und ließ ein ungekanntes Verlangen in ihr zurück.
Der
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