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Kind der Nacht

Kind der Nacht

Titel: Kind der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kilpatrick
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stehen. »Ja.«
    »Ich bin Jeanette de Villiers. Das ist mein Mann Julien und dies unser Sohn Claude.«
    Carol hatte nicht damit gerechnet, dass diese merkwürdigen Leute sich ihr derart förmlich vorstellen würden. »Ihr habt einen Sohn?«, platzte es aus ihr heraus. »Sagt bloß, er gehört auch zu dieser Familie?«
    Jeanette lachte und setzte sich ihr gegenüber. »Ja. Und eine Tochter. Allerdings nicht durch Geburt.«
    Carol fragte sich, was zum Teufel das heißen sollte. Vielleicht hatten sie sie ja adoptiert? Und dann kam ihr plötzlich der Gedanke, dass diese sonderbare Sekte womöglich Kinder entführte.
    Die Blondine musterte Carol bedächtig von Kopf bis Fuß. Sie sehen mich alle so an, als stünden sie kurz vor dem Verhungern und hielten mich für ein saftiges Stück Fleisch, dachte Carol und rutschte auf ihrem Stuhl unmerklich von ihr weg, hin zum Kamin.
    »Chloe hat dich sehr treffend beschrieben. Du bist wunderschön. Zart, beinahe zerbrechlich, und doch zugleich auch stark. Aber unglücklich.«
    »Wärst du vielleicht glücklich, wenn man dich gefangen halten würde?«
    Ein eigenartiges Lächeln huschte über Jeanettes Gesicht. »Du wirst es mir vielleicht nicht glauben, aber ich verstehe dich. Liebst du André?«
    »Nein«, erwiderte Carol ohne zu zögern.
    »Das ist schade. Für euch beide!«
    Carol wandte sich wieder dem Feuer zu. Schweigend saßen die beiden Frauen da und sahen dem Flackern der Flammen zu, die wie primitive Gestalten umhertanzten. Die leisen Stimmen der Männer drangen zu ihnen, und Carol wurde schläfrig.
    »Na komm, nimm die Karten«, sagte jemand, und mit einem Mal war sie wieder hellwach.
    Jeanette schob ihr quer über ein kleines Nussbaumtischchen, das zwischen ihnen stand, einen riesigen Stapel Karten zu. »Mische sie ein paarmal, hebe ab, sodass es drei Stöße gibt, und nimm den Stoß auf, der dir am ehesten zusagt.«
    Carol hatte zwar keine Ahnung, was das sollte, trotzdem langte sie  nach den Karten. Sie musste gähnen. Als sie die Hand vor den Mund  hob, warf sie einen flüchtigen Blick in die Runde. Gerlinde war  verschwunden und der Junge, Claude, ebenfalls. Karl und der ernst  aussehende Mann, Julien, saßen da und redeten leise miteinander.  Von dem Buch war nichts mehr zu sehen. Sie fragte sich, wie lange  sie wohl eingenickt gewesen war.
    Sie sah, dass es sich um Tarotkarten handelte. Einmal war sie mit einer Freundin bei einer Wahrsagerin gewesen, um sich ihr Schicksal vorhersagen zu lassen. Sie hatte Carol erzählt, sie werde einen reichen Ölprinzen heiraten und mit ihm in Texas leben und sieben Kinder bekommen. Nichts davon war eingetroffen.
    Carol blätterte den Stapel durch. Die in Pastellfarben gehaltenen mittelalterlichen Szenen auf den überdimensionierten Karten sprangen ihr regelrecht ins Auge. Ohne groß darüber nachzudenken, tat sie, was Jeanette sie geheißen hatte. Sie entschied sich für den rechten Stoß und gab die Karten zurück.
    Jeanette deckte die ersten fünf Karten auf. Die erste legte sie in die Mitte, die nächste rechts davon, dann eine darunter, eine links und eine oben hin.
    »Unglaublich!«, entfuhr es Jeanette. »Bist du dir auch wirklich sicher, dass du André nicht liebst?«
    »Ganz sicher!«
    »Und in wen bist du dann verliebt?«
    »In niemanden.«
    Jeanette nahm die mittlere Karte und reichte sie ihr. Sie zeigte einen Mann und eine Frau, die glücklich verliebt aussahen, dazu Sonnenschein und einen Regenbogen. Der Himmel meinte es offensichtlich gut mit ihnen. Darunter stand: Die Liebenden. Carol gab ihr die Karte kommentarlos zurück, und Jeanette legte sie wieder an ihre ursprüngliche Stelle.
    »Das ist deine Vergangenheit.« Sie deutete auf die Fünf der Kelche,  die einen Mann in einem langen schwarzen Umhang darstellte. Bekümmert blickte er auf drei umgestürzte Pokale, deren Inhalt dabei war, auszulaufen. Hinter ihm standen zwei Kelche in aufrechter Position. »Er ist so sehr mit dem beschäftigt, was er verloren hat, dass er nicht zu sehen vermag, was ihm noch geblieben ist; und das ist das wirklich Traurige daran.«
    Carol starrte die Karte an. Genauso hatte sie sich das ganze vergangene Jahr über gefühlt, dachte sie. Ein Verlust nach dem anderen, und nichts sonst. Aber falls ihr irgendetwas geblieben war, wusste sie nicht, um was es sich handelte.
    »Dies ist der Einfluss, unter dem du im Moment stehst. Der Magier,  ein mächtiger dunkelhaariger Mann, der die Kunst

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