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Kind der Nacht

Kind der Nacht

Titel: Kind der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kilpatrick
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er, sobald die Sonne untergegangen war.
    Mit den Worten »Zieh das an!« reichte er ihr einen weißen Kaftan, das gleiche Kleidungsstück, das sie in Blau an Chloe gesehen hatte. Er führte sie nach unten in ein großes in warmen Holztönen eingerichtetes Wohnzimmer voller mit schwerem Brokat ausgestatteten Queen-Anne-Möbel.
    Außer ihnen befanden sich in dem Raum noch fünf weitere Personen. Die Rothaarige namens Gerlinde und der Mann, den sie Karl nannten, saßen auf einem langen Sofa vor einem riesigen runden Couchtisch, auf dem eine gewaltige schwarze Specksteinskulptur stand, die eine auf einem Delfin reitende Meerjungfrau darstellte. Eine hoch gewachsene ausnehmend schöne Frau mit hellblondem Haar in einem ärmellosen zu ihrer Augenfarbe passenden hellgrünen Kleid stand neben einem schlanken streng wirkenden Mann mit nachtschwarzem Haar, der sie noch etwas überragte. Ein gut aussehender dunkelhaariger junger Mann von vielleicht neunzehn Jahren saß zwischen Karl und Gerlinde. Die Gruppe hatte die Köpfe über einem alten Buch von der Größe eines Atlasses zusammengesteckt. Als André mit Carol eintrat, sahen sie auf.
    »Setz dich da hin!« Er deutete auf einen Stuhl neben dem Kamin.
    »Andrés Instant-Frühstück!«, witzelte Gerlinde und erntete dafür Gekicher.
    André ging hinüber zu den Leuten. Carol war davon überzeugt, dass es sich um weitere Mitglieder seiner »Familie« handelte. Sie hatten alle die gleiche merkwürdig beschaffene Haut und verfügten über eine fast unwirkliche Ausstrahlung. André redete einige Minuten lang auf Französisch auf den streng aussehenden Mann ein und verließ dann den Raum. Der Mann setzte sich zu den anderen, und allem Anschein nach unterhielten sie sich wieder über das Buch, das, wie Carol nun sehen konnte, uralte Darstellungen des Sonnensystems enthielt.
    Sie wandte sich ab und starrte ins Feuer. Sie fragte sich, was das alles überhaupt sollte. Sie wusste, dass André ausging, um eine »Mahlzeit« zu sich zu nehmen, wie er es scherzhaft zu nennen pflegte. Er hatte ihr erzählt, dass er ihr einen Gefallen täte, indem er so viel Blut trank, wie er brauchte, ehe er zu ihr kam, andernfalls wäre er wohl kaum in der Lage, sich unter Kontrolle zu halten. Aber ihr war klar, dass dies nicht aus Sorge um sie geschah, sondern aus reinem Eigennutz.
    Nur noch eine einzige Nacht, sagte sie sich, dann bin ich ihn endlich los. Seit dem Abend, an dem er sie geschlagen hatte, hatte er ihr zwar keine körperliche Gewalt mehr angetan, dennoch war es offensichtlich, dass er darauf stand, sie zu unterwerfen. Wenn er sie nur anredete, klang es bereits, als erteile er einer Sklavin Befehle. Sie hatte immer noch Angst vor ihm und wusste, dass sie ihm nicht trauen konnte. Ihre Sorge war, dass er nach allem, was sie durchgemacht hatte, doch noch ihre Abmachung brechen und sie als Gefangene behalten könnte. Oder Schlimmeres. Von den anderen hatte sie keine Hilfe zu erwarten, und sie selbst konnte nur wenig ausrichten.
    Es hatte eine Weile gedauert, bis sie erkannte, dass alles, was Chloe gesagt hatte, stimmte. Er hatte tatsächlich einen Narren an ihr gefressen. Von Abend zu Abend schien er sich wohler zu fühlen, vertrauter. Nachdem sie zum ersten Mal Sex miteinander gehabt hatten, hatte er sich ungezwungener und offener gegeben. Es waren nicht allein die fantastischen Geschichten, die er ihr aus seinem Leben erzählt hatte. Manchmal, wenn er sie so angeblickt hatte, hatte sie in seinen Augen ein Gefühl aufblitzen sehen, das an Begeisterung grenzte. Hätte sie ihn zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort und unter anderen Umständen kennengelernt, hätte sie womöglich versucht, ihm zu helfen, sich vielleicht sogar in ihn verliebt - der Tatsache zum Trotz, dass er von Blut besessen war und sich für ein Raubtier hielt, wahrscheinlich sogar ein Mörder war. Aber indem er sie geschlagen hatte, hatte er ihr alle romantischen Vorstellungen gewaltsam ausgetrieben. Sie hatte Angst vor dem, was er empfand. In ihrer derzeitigen Lage war sie ihm ausgeliefert, und sie hatte keine Ahnung, was er aufgrund seiner Vernarrtheit noch anstellen würde. Und auch in anderer Hinsicht musste sie Chloe Recht geben. Carol verstand ihn nicht. Doch lag dies auch nicht in ihrer Absicht. Alles, was sie wollte, war, hier wieder lebendig herauszukommen.
    »Du musst Carol sein!«
    Carol blickte auf und sah die elegante Blondine neben sich

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