Kind der Nacht
hervor. Sie fragte sich, weshalb sie auch noch auf diese Spinner einging.
»Das weiß niemand«, antwortete Chloe. »Wir können nur vermuten, dass die richtigen Umstände zusammentreffen müssen, der richtige Mann und die richtige Frau müssen zum rechten Zeitpunkt zusammenkommen, das chemische Gleichgewicht muss stimmen, möglicherweise spielt sogar der Mond eine Rolle. Wir wissen es einfach nicht. Was wir allerdings mit Sicherheit wissen, ist, dass ein derartiges Kind für uns etwas ganz Besonderes ist.«
»Wird es auch, nun ja, ein Blutsauger sein, oder was immer ihr seid?« Sie konnte nicht fassen, dass sie so etwas sagte. Aber die ganze Unterredung schien so unwirklich.
»Das Kind wird sowohl sterblich als auch unsterblich sein. Es kommt darauf an, was in seinem Leben den größeren Einfluss ausübt!«
»Mit anderen Worten«, fügte Karl hinzu, »wenn das Kind von Sterblichen aufgezogen wird, wird es wohl auch das Leben eines Sterblichen führen und eines Tages eines natürlichen Todes sterben. Wenn es jemand von unserer Art großzieht, wird es wahrscheinlich ein Unsterblicher werden. Aber wie dem auch sei, wenn es die Pubertät erreicht, muss es eine Wahl treffen. Entscheidet es sich für die Unsterblickeit, wird es ab dem Zeitpunkt, den es sich wünscht, aufhören zu altern.«
»Du siehst, Carol«, sagte Chloe, »so etwas geschieht so selten, dass wir unbedingt wollen, dass das Kind bei uns bleibt, wo es von Natur aus hingehört. Und da du es ja ohnehin nicht möchtest, machen wir dir einen Vorschlag!«
Carol lehnte sich zurück und hörte zu. Sie klangen wie Rechtsanwälte, genauso vernünftig, und sie musste sich ständig ins Gedächtnis rufen, dass es sich um blanken Unsinn handelte. Außerdem wurde sie das Gefühl nicht los, dass sie von Geiern umgeben war, bereit, ihr das Fleisch von den Knochen zu picken und ihr den Fötus bei lebendigem Leib aus dem Körper zu reißen.
»Bleibe bei uns, bis es so weit ist. Wir werden uns um dich kümmern und dir behilflich sein, so gut wir können. Ist das Kind erst einmal geboren, steht es dir frei zu gehen, wohin du willst. Niemand wird dich zurückhalten, und du brauchst dir auch keine Sorgen zu machen. Das Kind wird jede nur erdenkliche Liebe von uns bekommen. Deine Aufgabe wird dann erfüllt sein und du kannst ein neues Leben beginnen.«
»Was ist mit dem Virus? Das Baby wird höchstwahrscheinlich davon infiziert sein.«
»Unsere Zellen sind mutiert«, entgegnete ihr Karl. »Vielleicht entwickelt das Kind Antikörper, vielleicht auch nicht. Wir wissen es nicht. Das ist ein weiterer Grund, weshalb es bei uns bleiben sollte. Es wird nur Blut zu sich nehmen, anfangs durch uns, sodass seine Zellen gestärkt werden, so wie bei uns. Unsere Zellen sind immun gegen die Krankheiten Sterblicher.«
»Und welches Risiko gehe ich dabei ein?«
»Niemand hier wird dir ein Leid zufügen.«
Carol sah André an. Dieser verschränkte selbstgefällig die Arme vor der Brust. »Ich meine, was die Geburt angeht. Wenn es ein so ungewöhnliches Kind ist, dann wird es wohl auch eine ungewöhnliche Geburt werden.«
Chloe rutschte kaum merklich von ihr weg, aber die Bewegung entging Carol nicht. »Es wird eine schwere Geburt sein, nicht wahr? Ich könnte dabei sterben.«
»Welches Risiko damit verbunden ist, weiß niemand«, erwiderte Chloe. »Wie ich dir bereits sagte, für jeden von uns vieren ist es das erste Mal. Aber wir haben unsere Gemeinschaft benachrichtigt. Wenn einer der anderen mehr weiß, werden sie es uns mitteilen.«
»Großartig! Ihr wollt mich hier behalten als eine Gefangene ...«
»Nicht als Gefangene, Kindchen«, sagte Gerlinde. »Wir können doch alle eine große glückliche Familie sein.«
»Aber natürlich!« Carol funkelte sie wütend an. »Nur dass ich die Einzige bin, die nicht von hier wegdarf!«
»Nur für acht Monate«, rief Chloe ihr ins Gedächtnis.
»Und wenn die um sind, werde ich vielleicht sterben, indem ich einen Idioten zur Welt bringe, aller Wahrscheinlichkeit nach einen erblich vorbelasteten Killer. Nein danke!« Sie erhob sich. »Das werde ich nicht tun! Und ihr könnt mich auch nicht dazu zwingen. Ihr könnt mich meinetwegen foltern oder auch an die Wand ketten, aber ich werde es nicht tun. Eher trete ich in den Hungerstreik, wenn es sein muss, und wenn ihr mich zwangsweise ernährt, kotze ich es wieder aus. Oder ich kann das Kind auch mit meinem Hass töten. Ich habe es satt, mich
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