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Kind der Nacht

Kind der Nacht

Titel: Kind der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kilpatrick
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aufzupassen?«
    »Ja, ich«, sagte Karl.
    Carol spürte einen Ruck an dem Seil um ihre Taille, dann wurde sie hochgehoben.
    »Hol eine Decke«, rief André über ihren Kopf hinweg jemandem zu.
    Wenig später saß sie zwischen den beiden im Wagen. Auf der Fahrt in die Stadt sprachen sie auf Französisch miteinander. Carol schlief und wurde nur hin und wieder wach. Karl blieb bei ihr, während André hinunter zu den Docks ging. Als er zurückkam, stieg Karl aus.
    »Du brauchst nicht auf mich zu warten. Ich werde eine Weile hier bleiben. Du kannst Gerlinde sagen, sie soll ins Caveau kommen.« Damit schloss er die Tür. Fast während der gesamten Fahrt zurück zum Chateau ließ André sie links liegen. Nur zweimal strich er ihr durchs Haar und übers Gesicht. Beide Male durchfuhr sie ein Schauder. Sie hatte Angst.
    Während der nächsten sechs Wochen blieb sie an André gefesselt. Er nahm sie mit von Zimmer zu Zimmer, von einem Ort zum ändern. Gelegentlich sprang einer der anderen ein, aber letztlich blieb es eindeutig seine Aufgabe. Nächtelang lagen sie einfach in ihrem Bett oder auf der Couch, und er las oder hörte Musik oder schrieb anscheinend ganze Seiten voller Gedichte. Neunzehn von zwanzig knüllte er frustriert wieder zusammen und warf die fehlgeschlagenen Versuche in den Müll. Die wenigen Sätze, die er behielt, band er in ein großes Buch mit Leineneinband ein. Sie schauten gemeinsam fern wie ein altes Ehepaar, Carol wie eine lebensgroße Stoffpuppe an ihn gelehnt und in warme Decken gehüllt. Tagsüber nahm er sie mit zu seinem Schlafplatz im Keller, und während er schlief, lag sie neben ihm, in völliger Dunkelheit.
    Es war ein merkwürdiges Zimmer. Die meiste Zeit war es dunkel, nur gelegentlich entzündete er ein Feuer. Sie konnte sich nicht wirklich umsehen, aber was sie sah, fand sie äußerst faszinierend. Der Raum war im Art-déco-Stil eingerichtet, in Schwarz, Grau und Silber. An den Wänden hingen Schilder, die Kurven anzeigten, und die Möbel waren seltsam verwinkelt. Das Kopfteil des Bettes bestand aus schwarz lackiertem Holz mit silbernen Einlegearbeiten. Darüber hing eine Zeichnung von Edward Gorey, schwarz-weiß vor grauem Hintergrund, die eine riesige Kreatur mit gewaltigen Zähnen zeigte, die durch die Nacht flog, in ihren Armen ein Opfer, ein blasses menschenähnliches Wesen mit großen Augen und von unbestimmbarem Geschlecht. Der einzige Farbtupfer in dem Bild, wenn nicht im ganzen Raum, war ein roter Tropfen am Hals des Opfers. Daneben gab es zwei Sofas, Tische, Bücher, Musik, einen großen Kamin, im Grunde alles bis auf ein Fenster.
    Hin und wieder zündete er eine Sturmlaterne an. Doch sie wusste, dass es hier unten Strom gab, denn einmal hatte er das Licht eingeschaltet. Doch meist brachte er sie erst in der Dämmerung hier herunter, wenn er sich ohnehin gleich schlafen legte.
    Aus purer Langeweile hatte sie wieder begonnen, umherzulaufen und aus freiem Willen zu essen. Sie las Bücher, sah sich Filme an, machte eigentlich alles außer zu sprechen. Sie weigerte sich, mit irgendeinem von ihnen verbal zu kommunizieren. Es war ihre letzte Zuflucht vor der Wahrheit, die sie nun erkannte - dass sie allesamt Ungeheuer waren, Untote, die sich von Menschen wie ihr ernährten.
    Doch sie redeten weiterhin mit ihr. Selbst André begann sich wieder mit ihr zu unterhalten, auch wenn er einen scharfen Ton anschlug. Er schlief nun auch wieder mit ihr. Er war nicht gerade ausgesprochen sanft und ganz gewiss nicht romantisch, aber zumindest war er nicht mehr brutal. Er gab sich Mühe, sie zu erregen, sodass das, was er tat, ihr zumeist wenigstens nicht wehtat. Oft drang er von hinten in ihre Vagina ein. Sie war sich nie ganz sicher, ob er glaubte, dies sei angenehmer für sie, ob er sie demütigen wollte oder ob er es ganz einfach nicht ertragen konnte, ihr Gesicht zu sehen. Sie beklagte sich nicht, aber sie gestattete sich auch nicht, es zu genießen. Sie weigerte sich, aktiv dabei mitzumachen.
    Im siebten Monat bekam Carol unverhofft Fieber. Sie saß mit Gerlinde allein in der Limousine, Gerlinde hörte gerade Musik aus ihrem Walkman. Da wurde Carol mit einem Mal kalt. Ihre Zähne fingen an zu klappern, und sie zitterte am ganzen Körper. Gerlinde blickte sie an.
    Carol sah zu, wie Gerlindes Gesicht sich veränderte. Sie ähnelte allmählich einem Braunbär, dann entwickelten ihre Züge sich zurück, und sie sah wieder normal aus. Carols Stirn

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