Kind der Nacht
wurde kochend heiß. Ihre Lippen waren wie ausgedörrt, und der Schweiß lief ihr übers Gesicht.
»Hey, Kleine, du wirst mir doch nicht krank werden!«, sagte Gerlinde besorgt. »Hier, leg dich hin.« Sie rutschte ein Stück, damit Carol sich hinlegen konnte, und nahm ihren Kopf in den Schoß. Im Wagen lag eine Decke, und Gerlinde breitete sie über sie und zusätzlich noch ihren Mantel. Doch Carol fror bereits wieder und zitterte vor Kälte.
Die Tür wurde geöffnet, und André stieg ein. »Was ist denn hier los?«
»Es geht ihr nicht gut. Sie hat Fieber und Schüttelfrost.« Darauf zog auch André die Jacke aus und legte sie über Carol, doch nun war ihr wieder heiß, sie kochte geradezu und begann zu halluzinieren.
»Mami«, sagte sie mit einer Kleinmädchenstimme, »kannst du mir eine Entschuldigung schreiben? Mir ist nicht gut, ich kann heute nicht in die Schule.«
Der Wagen raste mit Vollgas über die Autobahn. Sie blickte um sich, nicht ganz sicher, wo sie sich gerade befand. »Kann ich ein Glas Wasser haben?«
André hielt einen Plastikbecher unter einen Hahn in der Minibar. Gerlinde stützte ihr den Kopf, während sie einen kleinen Schluck nahm.
»Mir ist so heiß«, sagte Carol. Sie versuchte, sich von den Jacken zu befreien.
»Lass sie liegen.« André legte seine Hand obenauf, damit sie sie nicht wegschieben konnte.
»Was für ein Mist«, stöhnte Gerlinde. »Ausgerechnet jetzt, wo sie dabei war, sich zu erholen. Warum müssen Sterbliche nur dauernd krank werden? Du rufst besser zu Hause an.«
»Rob?«, fragte Carol. Sie beobachtete ihn, wie er den Hörer aufnahm. Er wandte ihr seinen Blondschopf zu und lächelte sie strahlend an. Sie fing an zu weinen. »Ich wusste nicht, dass du tot bist. Phillip hat es mir erzählt. Warum hast du es mir denn nicht gesagt? Du hast dich noch nicht mal von mir verabschiedet!«
Sie hyperventilierte, und mit einem Mal begann sie wieder zu zittern. »Kalt. Mir ist so furchtbar kalt.«
André gab ein paar Ziffern in die Tastatur seines Telefons ein. »Carol ist krank. Ich habe keine Ahnung, sie hat Fieber. Hoch, glaube ich. Hol den Doktor! In fünf Minuten sind wir da.«
Sie wurde hoch in ihr Zimmer getragen. Im Haus war es warm, dennoch häuften sie fünf Decken über sie. Jemand entfachte ein Feuer. Carol bekam nur am Rande mit, was vor sich ging. In der einen Minute war ihr kochend heiß, in der nächsten fror sie bis auf die Knochen. Gegenwart und Vergangenheit verschwammen miteinander. Hände
berührten sie, und sie hörte Stimmen um sich herum. Sie bemerkte, dass zwischendurch irgendwann der Arzt kam.
»Das Baby ist tot«, sagte sie ihm.
»Machen Sie sich keine Sorgen, Mademoiselle. Legen Sie sich ruhig hin und entspannen Sie sich. Ich gebe Ihnen etwas, um das Fieber zu senken.«
»Mein Baby ist tot. Sie wollen es mir nur nicht verraten, aber ich weiß es. Es ist so heiß hier drin. Machen Sie doch bitte die Fenster auf!«
Das Fieber blieb die ganze Nacht über hoch. Sie flößten ihr Flüssigkeiten ein, doch das meiste davon erbrach sie sofort wieder. Die Decken nahmen sie nicht weg, obwohl die Laken bereits schweißgetränkt waren.
»Helft mir doch!«, rief sie, als der Schüttelfrost einsetzte. »Ich erfriere! Es geht durch und durch, und mir wird nicht mehr warm.«
Als der Morgen graute, nahm André sie mit zu sich nach unten. Er schloss einen kleinen Heizlüfter an die Steckdose an und entfachte ein Feuer im Kamin.
Carol war sich sicher, dass sie den Tag nicht überleben würde. Sie wusste, dass das Fieber gestiegen war, und die Zeitspannen, in denen sie geistig klar war, wurden zunehmend kürzer. Sie sah das Ende ihres Lebens immer näher rücken. Es war kein glückliches Leben gewesen.
Sie blickte André an, der, den Unterarm über den Augen, wach neben ihr lag.
»Töte mich«, flüsterte sie. Er nahm den Arm weg und wandte ihr den Kopf zu. »Ich werde sowieso sterben. Tu mir den Gefallen, nur dieses eine Mal.«
»Du wirst nicht sterben«, erwiderte er überrascht. »Du wirst sehen, morgen geht es dir wieder besser.« Aber er klang nicht mehr so selbstsicher wie sonst.
»Dann mach Liebe mit mir und lass mich auf diese Weise sterben. Du hast früher schon Liebe mit mir gemacht, das weiß ich. Liebe mich, nur dieses eine Mal, denn bisher hat mich noch nie jemand geliebt, und ich weiß, dass auch du mich nicht liebst, aber ich möchte es mir vorstellen. Wenn ich sterbe, möchte ich glauben, dass
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