Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kind der Nacht

Kind der Nacht

Titel: Kind der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kilpatrick
Vom Netzwerk:
Sie bewegte den Arm ein wenig, und dann verstand sie. Hier war er zu Hause. Es ist zwar kein Sarg, dachte sie, aber hier schläft er tagsüber - wie ein Toter.

16
    Am folgenden Abend trug André sie nach oben ins Wohn zimmer.
    »Julien hat noch eine Idee, meines Erachtens eine ganz gute«, hörte Carol Jeanette zu den anderen sagen, während sie mit geschlossenen Augen lauschte.
    »Seiner Meinung nach dürfen wir nicht zulassen, dass sie sich immer weiter zurückzieht, das ist gefährlich. Wir binden ihr dies hier locker um die Hüfte, und das andere Ende um die Hüfte von jemandem von uns. Wir können uns dabei abwechseln. Auf diese Weise ist sie zumindest körperlich immer mit einem von uns in Verbindung. Es symbolisiert die Nabelschnur. Allerdings wirst das meiste davon du übernehmen müssen, André.«
    Carol hörte, wie er auf Französisch aufgeregt widersprach. Julien hielt dagegen. Jeanette band Carol etwas um die Hüfte, möglicherweise ein Seil. »Wenn du das Zimmer verlässt, nimmst du sie mit, und zwar überallhin«, sagte sie.
    »Soll ich sie vielleicht zu den Leuten mitnehmen, die ich überfalle, und sie ihnen vorstellen?«, fragte André sarkastisch.
    »Hör auf zu jammern«, sagte Gerlinde. »Es ist doch sowieso alles deine Schuld.«
    »Nein, du bist schuld. Hättest du dich nicht reinlegen lassen, wäre sie niemals davongelaufen, und ...«
    »Okay, ihr beiden«, sagte Karl. »Es reicht mir.«
    »Mir auch«, fiel Gerlinde ein.
    »Ich glaube, wir sollten es versuchen«, meinte Jeanette. »Wenn sie in diesem Zustand verharrt, wird das Baby auf jeden Fall einen Schaden davontragen. So wie es aussieht, muss das Kind, fürchte ich, alle fünf Jahre ein Trauma durchleiden.«
    »Wie das?«, wollte Gerlinde wissen.
    »Nun, es gibt da eine Theorie.« Carol hatte den Eindruck, dass Jeanette sich hingesetzt hatte. »Was auch immer im Mutterleib passiert, kehrt im Leben eines Sterblichen zyklisch wieder. Wird man zum Beispiel zu früh geboren, wird man immer unter dem Eindruck leben, dass die Zeit noch nicht reif sei.«
    »Hör zu«, fiel André ihr ins Wort. Seine Stimme klang aufgebracht. »Du hast mir immer noch nicht gesagt, was ich mit diesem Klotz am Bein anfangen soll, wenn ich auf die Jagd nach Blut gehe. Ich kann sie doch nicht überall hinter mir herschleifen.«
    »André«, sagte Chloe, »da ihre stärkste Bindung diejenige an dich ist, wirst du nun mal einen Weg finden müssen, deine Einstellung zu ändern.«
    »Mon Dieu!«
    »Ich meine es ernst. Es liegt natürlich bei dir; aber wenn du sie hasst, wird es nichts bringen. Sie wird es spüren und sich nur weiter in ihr Schneckenhaus zurückziehen.«
    Carol wollte ihnen mitteilen, dass sie so bleiben würde, auch wenn er aufhörte, sie zu hassen. Sie fühlte sich wohl, wo sie war, und in Sicherheit und würde ihm niemals wieder vertrauen.
    »Chloe hat Recht«, sagte Jeanette. »Julien, du weißt doch, was los ist. Sag es ihm.«
    Juliens Stimme hatte einen warmen, vollen Klang und bildete einen krassen Gegensatz zu seinem Aussehen. Außerdem war er das völlige Gegenteil von Jeanette. Carol hatte sich gefragt, wie es wohl kam, dass die beiden zusammen waren, sie waren so verschieden. Er sprach Englisch, und sie nahm an, er tat es, damit sie ihn verstehen konnte.
    »Wir haben bereits gestern Abend darüber gesprochen, dass ich dich einer Vielzahl von Emotionen für fähig halte, jede davon sehr intensiv und die meisten wahrscheinlich äußerst vergänglich. Du weißt Bescheid über meine Vergangenheit, darum dürfte dir klar sein, dass ich deine Lage sehr wohl verstehe. Wenn du für diese Frau hier jemals so etwas wie l'amour empfunden hast, dann sieh zu, dass du sie wieder aufleben lässt, oder du musst dich damit abfinden, dass sie das Kind verliert. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass, wo Hass und Macht die Triebfedern sind, die Liebe fehlt. Aber aus Hass und Macht resultiert immer dasselbe: Die Seele stirbt. L'âme se meurt .«
    Carol vermochte zwar nicht zu sagen, warum, aber falls sie je einem dieser Vampire - mittlerweile ging sie tatsächlich davon aus, dass sie Vampire waren - Vertrauen schenken sollte, dann ihm. Was er sagte, kam tief aus dem Herzen, und obgleich sie nicht verstand, was er meinte, spürte sie doch instinktiv seine Integrität.
    In dem Raum wurde es still. Schließlich brach André das Schweigen: »Ich werde jetzt ausgehen. Kommt jemand mit, um eine Zeit lang auf sie

Weitere Kostenlose Bücher