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Kind der Nacht

Kind der Nacht

Titel: Kind der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kilpatrick
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Carol fiel nicht sofort ins Leere wie bei anderen Gelegenheiten, als Rene sie mittels Hypnose hierher zurückversetzt hatte.
    »Gut. Wie fühlen Sie sich?«
    »Ich habe Angst.«
    »Wovor?«
    »Vor ihm.«
    »Vor wem denn?«
    Carol schüttelte den Kopf. Sie ließ ihre Hände über das Laken gleiten und unter die weichen Kissen, bis sie das kühle Metall des Bettgestells berührte. In dem Moment, in dem ihre Finger die Kälte spürten, reagierte sie auch emotional. Ihr Atem beschleunigte sich. »Er hat mich hier angekettet. An dieses Bett. Hier hat er mich gefangen gehalten und missbraucht!«
    »Ja, daran haben Sie sich früher auch schon erinnert. Ist in diesem Bett sonst noch etwas passiert?«
    Sie bekam keine Luft mehr, fühlte sich wie ein Fisch auf dem Trockenen, unfähig zu atmen, unfähig zu schlucken. Der ganze Raum drehte sich um sie und wurde dunkel. Ein schwarzes Loch sog sie ein, zog sie an sich, wirbelte sie umher wie einen Wasserstrudel, der gurgelnd im Abfluss verschwindet.
    »Carol, bleiben Sie bei mir! Was ist hier sonst noch passiert?«
    Sie schrie auf.
    »Carol! Carol! Hören Sie mir zu. Sie befinden sich hier bei mir, in meinem Büro. Öffnen Sie die Augen!«
    In dem Moment, in dem sie die Augen öffnete, fühlte sie sich auch schon wieder sicher. Sie war schweißgebadet, ihre Bluse klebte ihr am Körper und ihr Haar an Stirn und Nacken. Ihr Herz schlug viel zu schnell. Aber sie erinnerte sich. Sie drehte sich zu Rene Curtis um. »Ich habe in diesem Bett ein Kind bekommen.«
    Rene nickte. »Ein Mädchen oder einen Jungen?«
    »Einen Jungen, glaube ich. Aber ich könnte nicht sagen, warum ich das glaube.«
    »Schon in Ordnung. Folgen wir Ihrer Intuition. Was ist mit dem Kind geschehen?«
    Carol schüttelte den Kopf.
    »Wurde das Kind tot geboren?«
    »Nein.«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Ist das Kind später gestorben?«
    Erneut schüttelte Carol den Kopf.
    »Wissen Sie noch, wo dieses Haus steht?«
    Carol weinte, überwältigt von Trauer und Hoffnungslosigkeit. »Nein! Ich weiß es nicht. Ich werde mich niemals daran erinnern!«
    Rene Curtis berührte sanft ihren Arm und strich ihr das Haar z urück, griff dann nach der unvermeidlichen, mit einer eisgekühlten  Flüssigkeit gefüllten »Fünfzig find ich zum Totlachen«-Tasse und n ahm einen Schluck. »Sie werden sich erinnern. Sie haben doch sch on ein beträchtliches Stück geschafft. Vor acht Jahren konnten Sie ja  noch nicht einmal sagen, ob Sie überhaupt in Frankreich waren, und j etzt haben Sie schon ziemlich viele Teile des Puzzles zusammengese tzt. Alles, was Sie brauchen, ist Zeit. Immerhin haben wir es hier m it einem größeren Trauma zu tun.«
    »Zeit«, sagt Carol tonlos. Aus irgendeinem Grund kam es ihr so vor, als ob ihr keine Zeit mehr blieb.
    Sie ließ die acht Jahre seit ihrer Rückkehr nach Philadelphia noch ein mal vor ihrem geistigen Auge Revue passieren und dachte an all di e Dinge, mit denen sie fertig werden musste. Robs Tod, und dann w ar, kurz nachdem sie zurückgekehrt war, Phillip gestorben. Und dann auc h noch der Tod ihrer Mutter. Da Carol immer wieder psychotische  Aussetzer hatte, konnte sie nicht in einem Beruf arbeiten, in dem sie  hohem Stress ausgesetzt war. Sie hatte eine Anstellung am Emerald  Theatre gefunden, wo sie sich um Requisite und Bühnenausstattung  kümmerte, bevor die Stücke an den Broadway kamen oder auf  Tournee gingen. Mit Renes Hilfe hatte sie die ihr verbliebenen acht zigtausend Dollar zu einem guten Zinssatz angelegt. Die Zinsen reich ten aus, um die Therapie zu finanzieren, die, zumindest aus Carols  Sicht, nur langsam Fortschritte zeigte. Sie hatte lange gebraucht, bis  sie Rene - beziehungsweise überhaupt jemandem - vertraute. Dieje nigen Erinnerungen, die sie zu Tage fördern konnten, hatten während  der letzten drei Jahre allmählich begonnen zurückzukehren, und selbst  diese Bruchstücke waren das Ergebnis gewaltiger Anstrengungen.
    Sie lebte ein ruhiges, ereignisloses Leben, zumindest was die reale Welt betraf. Enge Freunde hatte sie nicht. Wenn sie nicht arbeitete, ging sie zur Therapie oder las. Abends, wenn die Sonne unterging, überfiel sie eine unerklärliche Angst, die erst bei Sonnenaufgang wieder von ihr wich. Und in diesem Zimmer sah sie Woche für Woche Dämonen und anderen Schrecknissen ins Auge, denen kein menschliches Wesen je ausgesetzt sein sollte. Ohne Rene hätte sie es niemals geschafft. So viel war ihr

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