Kind der Prophezeiung
Seine Bank knirschte laut auf dem hölzernen Fußboden. »Du hast uns heute abend eine große Ehre erwiesen, mein alter Freund«, sagte er mit ergriffener Stimme. »Das ist ein Ereignis, an das wir uns ein Leben lang erinnern werden. Du hast uns eine königliche Geschichte erzählt, die üblicherweise nicht an gemeine Leute verschwendet wird.«
Der alte Mann grinste daraufhin, seine blauen Augen zwinkerten. »Ich habe in letzter Zeit nicht viel mit Königen verkehrt, Faldor.« Er lachte. »Sie scheinen alle zu beschäftigt, um die alten Geschichten zu hören, und eine Geschichte muß von Zeit zu Zeit erzählt werden, damit sie nicht verlorengeht – außerdem, wer weiß heutzutage schon, wo sich ein König verstecken mag?«
Alles lachte darüber und begann, die Stühle zurückzuschieben, denn es wurde spät und Zeit für diejenigen, die mit dem ersten Sonnenstrahl aufstehen mußten, ihre Betten aufzusuchen.
»Trägst du mir die Laterne zu meinem Schlafplatz, Junge?« fragte der Geschichtenerzähler Garion.
»Gern«, antwortete Garion, sprang auf und rannte in die Küche. Er nahm eine viereckige Glaslaterne, entzündete die Kerze darin an einem der ausgehenden Küchenfeuer und ging zurück in den Speisesaal.
Faldor sprach mit dem Geschichtenerzähler. Als er sich umdrehte, sah Garion, wie ein seltsamer Blick zwischen dem alten Mann und Tante Pol, die immer noch an der Rückseite der Halle stand, ausgetauscht wurde.
»Sind wir dann soweit, mein Junge?« fragte der Alte, als Garion zu ihm trat.
»Wann immer du es bist«, erwiderte Garion, und die beiden drehten sich um und verließen die Halle.
»Warum hat die Geschichte kein Ende?« fragte Garion, vor Neugier platzend. »Warum hast du aufgehört, bevor wir herausfinden konnten, was geschah, als Torak auf den König von Riva traf?«
»Das ist eine andere Geschichte«, erklärte der alte Mann.
»Wirst du sie mir irgendwann einmal erzählen?« drängte Garion.
Der alte Mann lachte. »Torak und der rivanische König haben sich noch nicht getroffen«, sagte er, »also kann ich nicht davon erzählen, nicht wahr – jedenfalls nicht, bis nach ihrem Treffen.«
»Es ist doch nur eine Geschichte«, wandte Garion ein. »Nicht wahr?«
»Ist sie das?« Der alte Mann holte eine Flasche Wein unter seiner Tunika hervor und nahm einen langen Schluck. »Wer kann sagen, was nur eine Geschichte ist und was die Wahrheit, als Geschichte getarnt?«
»Es ist nur eine Geschichte«, sagte Garion stur und fühlte sich plötzlich so dickköpfig und vernünftig wie jeder gute Sendarer. »Sie kann nicht wirklich wahr sein. Weil, Belgarath der Zauberer wäre… wäre, ich weiß nicht wie alt, und Leute leben nicht so lange.«
»Siebentausend Jahre«, sagte der alte Mann.
»Was?«
»Belgarath der Zauberer ist siebentausend Jahre alt, vielleicht etwas älter.«
»Das ist unmöglich«, meinte Garion.
»Wirklich? Wie alt bist du?«
»Nächstes Erastide werde ich neun.«
»Und in neun Jahren hast du alles gelernt, alles was möglich und alles was unmöglich ist? Du bist ein bemerkenswerter Bursche, Garion.«
Garion errötete. »Na ja«, sagte er, seiner selbst nicht mehr ganz so sicher, »der älteste Mann, von dem ich je gehört habe, ist der alte Weldrik drüben auf Mildrins Farm. Durnik sagt, er sei über neunzig und der älteste Mann im Bezirk.«
»Und natürlich ist es ein sehr großer Bezirk«, sagte der alte Mann ernsthaft.
»Wie alt bist du?« fragte Garion, der nicht aufgeben wollte.
»Alt genug, mein Junge«, antwortete der alte Mann.
»Und es ist doch nur eine Geschichte«, beharrte Garion.
»Viele gute und standfeste Männer würden das sagen«, meinte der alte Mann und blickte hinauf zu den Sternen. »Gute Männer, die ihr Leben leben und nur an das glauben, was sie sehen und berühren können. Aber es gibt eine Welt hinter dem, was wir sehen und berühren können, und diese Welt lebt nach ihren eigenen Gesetzen. Was in dieser sehr gewöhnlichen Welt unmöglich sein kann, kann dort sehr gut möglich sein, und manchmal verwischen die Grenzen zwischen den beiden Welten; wer kann dann sagen, was möglich ist und was nicht?«
»Ich glaube, ich lebe lieber in der gewöhnlichen Welt«, sagte Garion. »Die andere klingt mir zu kompliziert.«
»Wir haben nicht immer die Wahl, Garion«, sagte der Geschichtenerzähler. »Sei nicht allzu überrascht, wenn dich eines Tages die andere Welt auswählt, um zu tun, was getan werden muß – etwas Großes und Edles.«
»Mich?«
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