Kind der Prophezeiung
und die Asturer geschlagen und in die unwegsamen Wälder in Nordarendien vertrieben worden waren, beschloß der Kaiser von Tolnedra, Ran Horb daß dort ein eigenes Königreich sein sollte.«
»Wie konnte ein tolnedranischer Kaiser eine solche Entscheidung für Sendarien treffen?« fragte Garion.
»Der Arm des Kaiserreiches ist sehr lang«, antwortete Silk. »Die Große Nord-Straße war während der Zweiten Borune-Dynastie gebaut worden – ich glaube, es war Ran Borune IV. der den Bau begann, nicht wahr, Hauptmann?«
»Der V.«, antwortete Brendig leicht verdrossen und ohne aufzusehen. »Ran Borune V.«
»Vielen Dank, Hauptmann«, sagte Silk. »Ich kann diese BoruneDynastie nie ganz auseinanderhalten. Jedenfalls, es waren schon Kaiserliche Legionen in Sendarien, um die Straße instand zuhalten, und wenn man in einem Gebiet Truppen hat, hat man dort auch eine gewisse Autorität, meint Ihr nicht auch, Hauptmann?«
»Es ist deine Geschichte«, sagte Brendig kurz angebunden.
»Das ist sie, wie wahr«, stimmte Silk zu. »Nun geschah es natürlich nicht aus einer gewissen Großzügigkeit heraus, daß Ran Horb diese Entscheidung traf, Garion. Das darfst du nicht mißverstehen. Tolnedrer verschenken nie etwas. Es war nur so, daß die Mimbre-Arendier schließlich den arendischen Bürgerkrieg gewannen – nach über tausend Jahren des Blutvergießens und des Verrats – und Tolnedra konnte es nicht zulassen, daß die Mimbrater sich nach Norden ausdehnten. Die Schaffung eines unabhängigen Königreichs Sendarien konnte das Vordringen der Mimbrater zu den Handelswegen, die aus Drasnien herausführten, blockieren und den Sitz der Weltmacht davor bewahren, nach Vo Mimbre zu ziehen und die Kaiserliche Hauptstadt Tol Honeth sozusagen vereinsamen zu lassen.«
»Das klingt aber schrecklich kompliziert«, fand Garion.
»Eigentlich nicht«, sagte Silk. »Es ist nur eben Politik, und das ist ein sehr einfaches Spiel, nicht wahr, Hauptmann?«
»Ein Spiel, das ich nicht begreife«, sagte Brendig ohne aufzublicken.
»Wirklich nicht?« fragte Silk. »So lange bei Hofe und kein Politiker? Ihr seid ein seltsamer Mann, Hauptmann. Jedenfalls, entdeckten die Sendarer plötzlich, daß sie ein eigenständiges Königreich waren, aber sie hatten keinen echten Erbadel. Oh, es gab schon ein paar tolnedranische Adelige, die sich zurückgezogen hatten und hier und dort auf ihren Gütern lebten, verschiedene Anwärter auf den einen oder anderen Wacite- oder Asturier-Titel, ein oder zwei Kriegshäuptlinge aus Cherek mit ein paar Gefolgsmännern – aber keinen echten sendarischen Adel. Und so wurde dann beschlossen, eine nationale Wahl abzuhalten – also einen König zu bestimmen, siehst du, und ihm dann die Verleihung von Titeln zu überlassen. Ein sehr praktisches Verfahren und typisch sendarisch.«
»Wie wählt man einen König?« fragte Garion, der allmählich seine Angst vor Verliesen verlor, so fasziniert war er von der Geschichte.
»Jedermann stimmt ab«, sagte Silk. »Eltern stimmen natürlich für ihre Kinder ab, aber es scheint, daß es sehr wenig Betrügereien gegeben hat. Der Rest der Welt stand darum herum und lachte über diese Torheiten, aber die Sendarier fuhren fort, ein Dutzend Jahre lang Abstimmung auf Abstimmung durchzuführen.«
»Sechs Jahre, um genau zu sein«, sagte Brendig, immer noch über sein Pergament gebeugt. »Von 3827 bis 3833.«
»Und es gab über tausend Kandidaten«, sagte Silk deutlich.
»Siebenhundertvier«, sagte Brendig knapp.
»Ich gestehe meine Fehler ein, werter Hauptmann«, sagte Silk. »Es ist eine solche Beruhigung, einen Experten dabeizuhaben, der auf meine Fehler achtgibt. Ich bin bloß ein einfacher drasnischer Kaufmann ohne große Geschichtskenntnisse. Jedenfalls im dreiundzwanzigsten Wahlgang wählten sie schließlich ihren König – einen Steckrübenfarmer namens Fundor.«
»Er hat mehr als nur Steckrüben gezogen«, sagte Brendig und sah verärgert hoch.
»Aber natürlich«, sagte Silk und schlug sich mit der Hand an die Stirn. »Wie konnte ich nur den Kohl vergessen? Er hat auch Kohl angebaut, Garion. Vergiß nie den Kohl. Nun ja, jedermann in Sendarien, der sich für wichtig hielt, reiste nach Fundors Farm, und dort fanden sie ihn dabei, wie er eifrig seine Felder düngte, und sie grüßten ihn mit lautem Ruf: ›Heil, Fundor dem Herrlichen, König von Sendarien‹, und fielen vor seiner königlichen Gegenwart auf die Knie.«
»Müssen wir damit weitermachen?« fragte Brendig
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