Kind der Prophezeiung
seine Ohren dröhnten. Er hörte eine trotzige, laut gebrüllte Kampfansage und konnte kaum glauben, daß sie aus seinem eigenen Mund kam. Plötzlich merkte er, daß er mitten auf den Pfad hinaustrat und sich hinkauerte, den Spieß fest gepackt und auf das schwere Tier gerichtet.
Der Keiler griff an. Rotäugig und mit Schaum vor dem Maul, mit einem aus tiefster Kehle kommenden Wutgeheul, stürzte er sich auf den wartenden Garion. Der Pulverschnee wurde von seinen stampfenden Hufen aufgewirbelt. Die Schneeflocken schienen für einen Moment in der Luft zu hängen und in dem einzelnen Sonnenstrahl zu glitzern, der dort zufällig den Waldboden berührte.
Der Stoß war schrecklich, als der Keiler auf den Speer traf, aber Garion hatte gut gezielt. Die breite Speerspitze durchdrang die rauh behaarte Brust, und der weiße Schaum, der von den Hauern tropfte, färbte sich plötzlich rot. Garion fühlte, wie er durch den Aufprall zurückgeworfen wurde. Seine Füße rutschten unter ihm weg, und dann knackte der Schaft seines Speeres wie ein dürrer Zweig. Der Keiler war über ihm.
Der erste aufwärtsgerichtete Hieb mit den Hauern traf Garion direkt in den Magen, und er fühlte, wie die Luft aus seinen Lungen wich. Der zweite Hieb traf ihn an der Hüfte, als er nach Luft schnappend versuchte, sich aus dem Weg zu rollen. Sein Kettenhemd bewahrte ihn vor Verletzungen, aber die Stöße waren trotzdem betäubend. Der dritte Hieb des Keilers traf ihn in den Rücken, und er wurde durch die Luft geschleudert und krachte gegen einen Baum. Vor seinen Augen tanzten Sterne, als sein Kopf gegen die rauhe Borke schlug.
Und dann war Barak da. Er brüllte und griff an, aber irgendwie schien es auch nicht Barak zu sein. Garions Augen, noch verschleiert von dem Schlag auf den Kopf, starrten verständnislos auf etwas, das nicht wahr sein konnte. Es war Barak, daran konnte es keinen Zweifel geben, aber es war auch noch etwas anderes. Seltsamerweise war dort auch ein riesiger, fürchterlicher Bär. Die Bilder der beiden Gestalten, die durch den Schnee jagten, überlagerten sich. Ihre Bewegungen waren identisch, als ob sie nicht nur die gleiche Stelle einnahmen, sondern auch dieselben Gedanken hätten.
Riesige Arme ergriffen den sich windenden, tödlich verwundeten Keiler und zerquetschten ihn. Helles Blut sprudelte aus der Schnauze des Keilers, und das zottige, halbmenschliche Wesen, das gleichzeitig Barak und etwas anderes zu sein schien, hob das sterbende Wildschwein hoch und schmetterte es brutal zu Boden. Das Wesen hob sein schreckliches Gesicht und brüllte in markerschütterndem Triumph, während die Sterne vor Garions Augen versanken, und er spürte, wie er in die graue Leere der Bewußtlosigkeit glitt.
Er hatte keine Ahnung, wieviel Zeit vergangen war, als er auf dem Schlitten wieder zu sich kam. Silk legte gerade ein mit Schnee gefülltes Tuch um seinen Nacken, während sie über die strahlend weißen Felder auf Val Alorn zujagten.
»Du hast dich also zu leben entschlossen«, grinste Silk ihn an.
»Wo ist Barak?« murmelte Garion erschöpft.
»Im Schlitten hinter uns«, sagte Silk und sah sich um.
»Ist er… in Ordnung?«
»Was könnte Barak schon etwas anhaben?« fragte Silk.
»Ich meine… ist er noch er selbst?«
»Für mich scheint es Barak zu sein.« Silk zuckte die Achseln.
»Nein, Junge, bleib still liegen. Das Wildschwein hat dir vielleicht ein paar Rippen angeknackt.« Er legte die Hand auf Garions Brust und drückte ihn sanft nieder.
»Mein Keiler?« fragte Garion schwach. »Wo ist er?«
»Die Jäger bringen ihn«, antwortete Silk. »Du bekommst deinen triumphalen Einzug schon noch. Wenn ich dir jedoch den Vorschlag machen darf, dann solltest du dir auch ein paar Gedanken über konstruktive Feigheit machen. Deine Instinkte könnten sonst dein Leben stark verkürzen.«
Aber Garion war schon wieder bewußtlos.
Und dann waren sie im Palast. Barak trug ihn auf den Armen, und Tante Pol war da und wurde weiß im Gesicht, als sie das ganze Blut sah.
»Es ist nicht seins«, beruhigte Barak sie. »Er hat einen Keiler aufgespießt, und der hat auf ihn geblutet, während sie miteinander kämpften. Ich glaube, dem Jungen ist nichts passiert – nur ein Schlag auf den Kopf.«
»Bring ihn her«, sagte Tante Pol und ging die Treppen hinauf, die zu Garions Zimmer führten.
Später, als sie ihn verbunden hatten und eine Tasse von Tante Pols übelriechendem Gebräu seinen Kopf leicht und schläfrig gemacht hatte, lag Garion im
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