Kind des Glücks
beleidigt. »Fragen Sie lieber diese Person hier, warum die normale Prozedur gestört werden mußte, um Sie auf besondere Anweisung einen Tag früher zu wecken. Wir sind noch gut vierundzwanzig Stunden von Alpa entfernt!«
»Wirklich?« fragte ich Wendi. Sie nickte nur. »Warum?«
»Weil dir eine schwierige Entscheidung bevorsteht, Sunshine«, sagte sie mit uncharakteristischer Schwäche. »Wir brauchen Zeit zum Reden…« Sie warf nervöse Seitenblicke zu den Reihen der schlafenden Reisenden, die uns umgaben, zum entrüsteten Med Crew Maestro. »Aber certainement nicht hier!«
Da konnte ich trotz meiner ängstlichen Neugier sofort zustimmen, denn das Ambiente des Dormoduls zwang zu ängstlichem Schweigen, der Med Crew Maestro konnte es kaum erwarten, daß wir verschwanden, Wendis Stimmung war mehr als genug, um mich mit Furcht zu erfüllen, und ich konnte mir kaum einen weniger geeigneten Raum vorstellen, um schlechte Neuigkeiten zu hören. Deshalb hielt ich den Mund und ließ mich von ihr aus dem Dormodul, durch den Mittelgang des Schiffs und in ihre Luxuskabine führen, ohne ein Wort zu sagen.
Als die Tür hinter uns geschlossen war und wir nebeneinander auf dem Bett saßen, legte Wendi mir eine Hand aufs Knie und begann, immer noch ohne meinem Blick voll zu begegnen, zu sprechen.
»Wie ich es versprach, habe ich Pater Pan ausfindig gemacht«, sagte sie. »Er wohnt in der Ferienstadt Florida an der Côte Grande des Äquatorialkontinents Solaria, wo er sozusagen der Domo eines Stammes von Kindern des Glücks ist.«
»Aber das ist ja wundervoll!« rief ich. »Warum dann das lange Gesicht? Warum – «
Wendi gebot mir mit erhobener Hand Schweigen, und endlich erwiderte sie direkt meinen Blick, wenn auch mit besorgtem Ausdruck. »Ich muß jetzt etwas tun, von dem ich genau weiß, daß es eine nutzlose Geste ist«, sagte sie. »Aus meinem Wissen als Herausgeberin kann ich dir erklären, daß der Eintrag in der augenblicklichen Form für die Matrix geeignet ist und daß eine Reise nach Florida jetzt schlimmer als überflüssig wäre.«
»Was? Aber du hast doch selbst darauf bestanden – «
»Von Frau zu Frau, von Freundin zu Freundin muß ich versuchen, dir den Rat zu geben, den Tatsachen ins Gesicht zu sehen und Alpa sofort wieder zu verlassen, wenn wir in den Orbit einschwenken – mit dem ersten Sprungschiff und ohne Rücksicht auf das Ziel«, sagte Wendi ohne wirkliche Überzeugung, wie mir schien.
»Was meinst du damit, Wendi?« fragte ich. »Solche Geheimnistuerei ist doch wirklich nicht dein Stil!«
»Sowohl als deine Herausgeberin als auch als Freundin deines Herzens muß ich dir sagen, daß das, was du in Florida finden würdest, alles andere als ein ästhetischer Ausgang der Geschichte deines Wanderjahrs wäre.«
»Merde, Wendi, spuck den faulen Bissen aus, egal wie schlecht er schmeckt«, sagte ich ärgerlich. »Glaubst du denn wirklich, die Geschichtenerzählerin oder die Frau könnte zulassen, daß du sie daran hinderst, das wahre Ende der Geschichte ihres Wanderjahrs zu finden? Warst du es nicht, die mich den Stammeseid schwören ließ, daß die erste Verpflichtung der Geschichte gilt?«
»Vraiment«, sagte Wendi mit einem kleinen Achselzucken. »Aber ich finde keine Möglichkeit, das, was du jetzt erfahren willst, als etwas anderes als eine Verletzung eben dieses Geistes zu bezeichnen.«
»Hör doch mit der Geheimnistuerei auf!« schrie ich. »Erwartest du wirklich, daß ich meine Neugier bei einer Angelegenheit, die für meinen Geist und meine Kunst so wichtig ist, zurückhalte und einfach glaube, daß Unwissenheit ein Segen wäre?«
Wendis Verhalten änderte sich völlig. »Ich sagte ja, daß ich eine vergebliche Geste machen müßte, Liebes«, sagte sie mit viel härterer Stimme, »denn du hättest mich für gemein gehalten, wenn ich es nicht wenigstens versucht hätte, nachdem du gehört hast, was du jetzt hören mußt. Also halte mich nicht für gemein, wenn ich dir von Kollegin zu Kollegin sage, daß ich nicht schlecht von dir gedacht hätte, wenn ich Erfolg gehabt hätte.«
»Wendi – «
» – Pater Pan ist ladersüchtig, das ist es kurz und bündig, meine pauvre petite; er folgt dem Weg des Auf und Davon.«
Ich muß geschrien haben, doch ich erinnere mich nur noch, daß ich plötzlich benommen auf dem Bett saß, als hätte ich einen Hammer vor dem Kopf bekommen.
Bilder aus meiner Erinnerung, keine Worte, ergossen sich in einer schäumenden Woge durch mein Bewußtsein.
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