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Kind des Glücks

Kind des Glücks

Titel: Kind des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norman Spinrad
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Frau, meine Liebe. Komme was da wolle, du wirst nie zufrieden sein, solange du nicht weißt, was in deinem Herzen ist. Was gibt es denn zu fürchten? Entweder wirst du eine romantische Wiedervereinigung als süßes Zwischenspiel genießen und dich damit von deiner erotischen Gleichgültigkeit befreien, um danach deinen eigenen Weg weiterzugehen, oder du wirst den ewigen Gefährten deiner Seele finden und den Vektor deines Lebens freudig und freiwillig ändern.«
    Wendi rückte etwas von mir ab und sprach distanzierter. »Aber das letzte sagte ich dir aus meiner Erfahrung als Herausgeberin, die verpflichtet wurde, dafür zu sorgen, daß deine Geschichte in angemessener Form in die Matrix eingeht, und als solche spreche ich jetzt. Wir müssen unsere Erzählung damit abschließen, daß du Pater Pan auf Alpa wiedersiehst, selbst wenn dies bedeuten sollte, daß du für immer mit ihm davonläufst, innerhalb eines Jahres verlassen wirst, nie wieder eine Geschichte erzählst und als tantrische Künstlerin auf einer barbarischem Vorpostenwelt endest. Das ist es, was der Eid der Loge wirklich bedeutet, ma chère. Dein Leben und dein Glück kommen an zweiter Stelle, Geschichtenerzählerin; deine höchste Treue muß der Geschichte gelten.«
    Ich wandte einen Moment den Blick von ihr ab und sah zu den künstlichen Sternen im Himmel des Vivariums hinauf, hinter denen die wirkliche Realität lag, der tiefe Raum, durch den wir unser Leben lang reisten; und in diesem beängstigenden Firmament verstreut lagen die Oasen unseres Geistes in der Nacht der Wüste – die weitverstreuten Menschenwelten. War es nicht eine Geschichte, der wir von den Bäumen unserer Vorfahren zu den Sternen gefolgt waren? Waren wir nicht zugleich Erzähler und Hauptpersonen? War nicht die Zauberstraße dasselbe wie der Weg des Geschichtenerzählers? Hatten nicht Pater Pan und Wendi Sha Rumi mit Recht erklärt, daß vor dem Sänger das Lied kommt?
    »Vraiment, Wendi, du hast recht«, sagte ich schließlich. »Wir müssen das wahre Ende einer Geschichte finden, ehe wir eine andere wirklich beginnen können, no. Im Geiste unserer Berufung gibt es keine andere Möglichkeit.«
    »In diesem Fall hast du noch viel besser gesprochen, als du es jetzt selbst verstehst, Sunshine«, sagte Wendi rätselhaft. »Denn da wir jetzt endlich von Kollegin zu Kollegin sprechen – wir haben zusammen eine lange Reise auf Kosten der Öffentlichkeit genossen, und die Begründung war, daß für unsere Zusammenarbeit ein Wiedersehen mit Pater Pan unumgänglich war. Doch selbst der schlimmste Elfenbeinturm-Künstler muß früher oder später auf die Idee kommen, daß wir Flötenspieler nicht die einzigen sind, die ihren gerechten Lohn verlangen.«
     
    Seltsam zu sagen, aber nachdem ich mich auf diese Weise entschlossen hatte, dem Flötenspieler meines Wanderjahrs zu folgen, um die Geschichte abzuschließen, hob sich mein Geist wieder, und bald kam es mir vor, als hätte ich die ganze Zeit wie eine Närrin gegen Schatten gekämpft.
    Denn was gab es zu befürchten? Glaubte ich wirklich, daß sich das Kind des Glücks, das ich gewesen war, beim ersten Anblick Pater Pans in seine Arme werfen und den neuen Weg aufgeben würde, den die Frau, die ich werden wollte, gefunden hatte? Oder daß diese Frau nicht fähig war, den Domo ihres goldenen Sommers als Kind des Glücks als einen ganz normalen Mann wahrzunehmen?
    Vielleicht war das der Grund meiner Ängste gewesen, denn ich fand keinen anderen. Die Kosmokultur würde genau wie das Leben der Geschichtenerzählerin auf meine Rückkehr von Alpa warten – ein Leben, das existiert hatte, seit es bewußte Sprache gab, und das Bestand haben würde, solange es die Menschheit gab. Das einzige, das ich zu fürchten hatte, lag certainement in meinem eigenen Herzen, und kein Geschichtenerzähler und kein Autor von Wortkristallen konnte auf der Zauberstraße bleiben, wenn er sich weigerte, die Geheimnisse seines eigenen Herzens zu erforschen.
    Und so warf ich mich auf die Vollendung unserer Arbeit, so gut ich es im Augenblick vermochte, und brütete nicht mehr über den fehlenden Höhepunkt, bis selbst Wendi erklärte, daß jedes Wort und jede Silbe auf den aufgezeichneten Wortkristallen so vollkommen war, wie es eben möglich war.
    »Wirklich«, sagte sie, als wir ein spätes Abendessen aus gegrillten fruits de mer im Refektorium zu uns nahmen. Wir hatten gerade die letzte dieser knappen Sitzungen hinter uns. »Es gibt einen Punkt, über den man nicht

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