Kind des Glücks
leugnen, daß es eine Sunshine war, an die er sich erinnerte und zu der er jetzt sprach.
»Erinnere dich an Moussa… erinnere dich an Sunshine… erinnere dich, daß du gekommen bist, um die Geschichte zu erzählen…«
»Vraiment, ich kann nicht leugnen, daß mir diese Aufgabe anscheinend auferlegt ist«, räumte ich ein. »Aber dann sage mir, wie ich dieses Lied singen soll? Soll ich verdammt sein zu erklären, daß ich deinen Geist mit nichts Besserem als einem Ausgang ehren kann, der einer tragischen Farce gleicht? Wie kann ich diese Geschichte ehrenhaft beenden?«
Doch die Antwort war Schweigen, und wer immer gesprochen hatte, wollte an diesem Tag nicht mehr mit mir reden.
Und auch während der nächsten drei Tage gelang es mir nicht, auch nur eine Silbe zu beschwören. Ich erlaubte Kim, sich um die animatischen Bedürfnisse meiner Existenz zu kümmern, und verbrachte meine wachen Stunden damit, mit der schweigenden Sphinx im Zelt zu sprechen.
Was sagte ich zu Pater Pan in all diesen endlosen Stunden einseitigen Geplappers? Vraiment alles, das in meinem Herzen und meinem Geist lag, und in jeder denkbaren Form – von Wut zu Schmeichelei, von tränenerfülltem Schluchzen zu düsteren, morbiden Späßen, von der Geschichte meiner Reisen durchs Bloomenveldt bis zur Geschichte vom Funken der Arkies – und alles und jedes dazwischen.
Und all dies brachte mich nicht weiter. Pater Pan hatte schon Tage vor meiner Ankunft aufgehört, Nahrung zu sich zu nehmen, und jetzt wurden sogar meine Versuche, ihn mit Gewalt mit Nährflüssigkeiten zu füttern, von seinem Körper zurückgewiesen, als wäre, was an protoplasmatischem Willen noch in ihm steckte, fest entschlossen, sich zu Tode zu fasten. Tag um Tag, sogar Stunde um Stunde, mußte ich zusehen, wie sein Körper immer hagerer wurde, wie das Netz der Falten auf seiner Haut zu staubigem Pergament verwitterte, wie sein goldenes Haar dünner wurde und ausfiel, bis nur noch ein Gewirr grauen Strohs da war, das die bleiche Haut seines Schädels kaum mehr bedeckte.
Diese werdende Leiche bedrängte ich vergeblich, bis ich schließlich den Klang meiner eigenen dummen Stimme zu hassen begann.
Als Kim mich am Morgen des vierten Tages ins Vielfarbige Zelt schob, wußte ich, daß ich es nicht länger ertragen konnte, diese Sphinx zu befragen, und ebensowenig konnte ich den Anblick des Königs der Gypsies und des Prinzen der Joker ertragen, der auf diese Weise starb – ausgeschlossen von den Welten, durch die er so fröhlich gewandert war, umgeben von dieser saft- und kraftlosen Travestie der Gypsy Joker, die das wahre Lied des Mannes und des Flötenspielers, dessen Geist jetzt aus der Welt ging, Lügen strafte.
Und wenn auch kein Wort von mir diese Sphinx zum Sprechen bringen konnte, so sollte man dennoch nicht von mir sagen können, daß ich diese sterblichen Überreste in diesem stinkenden Zelt, in dem man an der Hitze und den Ausdünstungen des Todes zu ersticken glaubte, verfallen ließ.
»Genug!« rief ich. »Rollt diese Wände aus dem Vielfarbigen Tuch hoch und laßt das Morgenlicht herein. Schnell, schnell, laßt uns wieder natürliche Luft atmen!«
»Los, kommt«, lockte Kim, »laßt uns die Wände einreißen und die Sonne hereinlassen!« Und indem er es sagte, begann er sofort eine Plane von den Stangen zu lösen, und binnen weniger Minuten folgten genug Stammesmitglieder seinem Beispiel, so daß das spirituell und olfaktorisch erstickende Zelt in einen offenen Pavillon verwandelt wurde, von dem aus man durchs Lager blicken und die goldene Sonne über dem glänzenden Spiegel der azurblauen See aufgehen sehen konnte.
In der frischen Brise hingen die feine Süße der bewaldeten Hügelflanken und der stärkere Geruch des Meeres, und die organische Überreife des unsauberen Lagers, die flüchtigen Pheromone der Ferienessenzen von den Straßen der Stadt weit unten – und die Ausdünstungen menschlicher Körper wurden von der Brise davongetragen und von der Hitze der Tropensonne verbrannt.
Vielleicht kombinierten sich alle diese zufällig heranwehenden Moleküle zu einem neuen Duft, der auf die biochemischen Sinne von Pater Pans Körper so nachhaltig wirkte wie auf die Nase meines Geistes, denn certainement sagen uns die Wissenschaftler und meine eigenen Erfahrungen in den Tiefen des Bloomenveldts, daß es der Geruchssinn ist, der uns am unmittelbarsten mit den Reizen der Außenwelt verbindet und tief im Kleinhirn Tropismen auslöst.
Denn seine Nasenflügel
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