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Kind des Glücks

Kind des Glücks

Titel: Kind des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norman Spinrad
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Chance. Nämlich die Wahrsagerin zu spielen und zu sagen, was in meinem Herzen war.
    »Sprich zu mir, wie du in der Traumzeit des Bloomenveldts zu mir gesprochen hast, Pater Pan«, sagte ich schließlich. »Denn wenn du damals eine Gestalt meiner Traumzeit warst, dann muß ich jetzt eine Gestalt deiner Traumzeit sein.«
    Als ich das bange Schweigen brach, erhob sich hinter mir Gemurmel, doch die Gestalt auf dem Kissenthron blieb still und stumm.
    »Sing mir das Lied der Zauberstraße, erzähl mir eine Geschichte, damit ich ich diesen Ort in Frieden verlassen kann, so wie ich deinen Geist ziehen ließ, statt ihn quälend an mich zu binden.«
    Mir schien, als plapperte ich Stunden auf diese Weise weiter, ohne mit dem Intellekt zwischen Gefühl und Worten zu vermitteln. Und während dieser Stunden hätte ich meine zunehmend albernen Worte ebenso an eine Statue aus Stein richten können.
    »Merde, warum mußt du die Geschichte deines edlen Lebens als unbewußte Hülle im Bann des Laders beenden, und warum hast du mir den Fluch auferlegt, sie zu erzählen, und warum sollte ich nicht aufhören, diesem tragischen Epilog beizuwohnen, und so weit von hier fliehen, wie mich das Schicksal bringt?« fauchte ich ihn schließlich an. »Wenn noch irgendein Geist in deinem armen Körper steckt, dann sprich jetzt, oder du sollst in Frieden ruhen!«
    Ich stand auf und wandte mich zum Gehen, bewegte mich mit gespielter Langsamkeit und war, um ehrlich zu sein, ziemlich unsicher, ob ich diesen Bluff wirklich durchziehen sollte.
    Doch ob es nun ernst gemeint war oder nicht, Pater Pans Lippen begannen sich zu bewegen, als kämpfte sich etwas in ihm herauf, um zu sprechen, und dann ertönte aus seinem Mund eine Stimme.
    »Erinnere dich an mich«, sagte sie ganz deutlich.
    Ich blieb wie erstarrt stehen, und im Zelt wurde es totenstill.
    »Vraiment, ich bin aus keinem anderen Grund hier«, flüsterte ich zur Erscheinung vor mir, die durch das Fleisch eines alten Mannes sprach mit der Stimme des Menschen, der gegangen war; und doch irgendwie nicht mit der Stimme Pater Pans, denn obwohl Betonungen und Rhythmus der Musik dieselben waren, sang ein anderer Geist das Lied.
    »Erinnere dich, wie du aus dem Nichtsein in eine Trillion einzelner Flocken zerplatzt bist«, begann diese Stimme, was auch immer sie war, zu deklamieren, während die Augen in Pater Pans verwittertem Gesicht so leblos blieben wie zwei blaue Murmeln. »Erinnere dich, wie du aus weniger als einem Dunstschleier zu unzähligen Sonnen geronnen bist. Erinnere dich an die steinernen Sphären in der ewigen Nacht…«
    Wer oder was sprach da? Je ne sais pas. Das Atman, das den Urknall des Universums aus einem Zustand des Nichtseins beobachtet hatte? Eine Geschichte, die der Mann einmal erzählt oder gehört hatte? Die genetische Erinnerung unserer Art?
    Wie dem auch sei, was nun sprach, konnte nicht das sein, das zuvor mit zufälligem Geplapper gesprochen hatte, denn dieser Geist des Auf und Davon fesselte meine Aufmerksamkeit so gründlich, wie die frühere Orakel-Verkörperung seine kraftlosen Jünger gefesselt hatte.
    Vraiment, es war mir kaum bewußt, daß ich vor ihm wieder auf meinem Polster saß und unter den anderen meinen Platz zu seinen Füßen einnahm.
    »Erinnere dich, wie du in den langen Helices des Lebens im Meer triebst… erinnere dich, wie du keuchend an Land gekrochen bist, erinnere dich, wie du von den Bäumen unserer Vorfahren heruntergeklettert bist, um den Sonnenaufgang über der Ebene zu betrachten… erinnere dich an deine ersten Schritte auf Luna… erinnere dich an deine langen, langsamen Jahrhunderte zwischen den Sternen… erinnere dich an die Geheimnisse des Sprungs, die deine Art zu den weitverstreuten Menschenwelten gebracht haben… erinnere dich an dich… erinnere dich an mich.«
    »Ich bin hier, um mich zu erinnern«, sagte ich, wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt, doch ich schien wieder in die Traumzeit versetzt, denn abermals war ein Geist, von dem man in Alltagsbegriffen nicht sagen konnte, daß er anwesend war, vor mir erschienen – wie der Flötenspieler meines goldenen Sommers in der Stunde der Not auf dem Bloomenveldt bei mir gewesen war, wie man im Reich des Schlafes leicht mit verschiedenen Geistern und archetypischen Bildern sprechen kann.
    »Erinnere dich an diesen Augenblick der Erinnerung«, sagte Pater Pan, und nun schien es fast, als wäre er wirklich er selbst, denn erhatte die Augen auf mich gerichtet, und ich konnte nicht

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