Kinder der Apokalypse
Er will etwas sagen, aber die Worte bleiben ihm im Hals stecken, und nur ein Krächzen kommt hervor. Schmerzen durchtoben ihn, und er schaudert heftig.
»Siehst du?« , sagt einer.
»Was soll ich sehen? Er kämpft. «
»Er verliert den Kampf. Die Seuche verschlingt ihn. «
»Aber sie hat ihn noch nicht überwältigt. «
Sie gehen, lassen ihn wieder allein, und er fühlt sich verlassen und verraten. Welcher der beiden will ihn retten und welcher ihn zurücklassen? Sie sind seine besten Freunde. Aber einer spricht sich für seinen Tod aus. Tränen brennen in seinen Augen, und er weint. So ist es also, wenn man stirbt, denkt er. Man ist allein. Man wird erniedrigt. Man ist seiner Schwäche schutzlos ausgeliefert und der harschen Wirklichkeit der Folgen, die sich daraus ergeben.
Er holt tief und schmerzhaft Luft, schluchzt und wartet auf das Ende seines Lebens.
* **
Aber er starb nicht in jener Nacht. Das Fieber sank, und am Morgen konnte man ihn wieder transportieren. Er war immer noch schwach, aber er hatte begonnen zu heilen. Michael und Fresh kamen zu ihm und sagten ihm, wie ermutigt sie sich von seiner Erholung fühlten. Sie versicherten ihm, alles werde in Ordnung kommen. Er wusste noch immer nicht, wer sich dafür ausgesprochen hatte, ihn zurückzulassen, wer ihn aufgegeben hatte. Damals hatte er sich gesagt, es müsse Fresh gewesen sein, dass Michael ihn nie im Stich lassen würde. Aber er war sich einfach nicht sicher, besonders jetzt nicht mehr, da er wusste, was später aus Michael geworden war.
Seine Gefühle für Michael waren merkwürdig. Seine Eltern hätten ihn nie im Stich gelassen, selbst wenn es sie das Leben gekostet hätte. Aber er erinnerte sich nur vage an sie, sehr undeutlich, und die Erinnerung war mit jedem Tag, der verging, noch mehr verblasst. Noch weniger erinnerte er sich an seinen Bruder und seine Schwester, ihre Gesichter waren verwischt, verschwommen an den Rändern und farblos. Aber er erinnerte sich an Michael, als gäbe es ihn noch – an die ausgeprägten Züge, die breiten, abgesackten Schultern, den Klang seiner tiefen Stimme –, und zwar so klar, wie er sich an Two Bears erinnerte, dem er erst gestern begegnet war. Selbst jetzt wusste Logan, was er tat, hatte sein überlebensgroßes Bild im Kopf. Er wusste, dass es etwas mit der Zeit zu tun hatte, die er mit Michael verbracht hatte, und dem Einfluss von Michaels starker Persönlichkeit. Und dennoch hatte er Michael nie geliebt wie seine Verwandten. Er war sich seiner nie so sicher gewesen wie ihrer. Es kam ihm irgendwie nicht richtig vor, aber es ließ sich nicht ändern.
Die Gebäude der Stadt zogen auf beiden Seiten an ihm vorbei. Er sah weitere Leichen auf den Straßen, und der Gestank nach Tod war überall. Im Schatten der Gebäude gab es keine Bewegung, keine Lebenszeichen. Wenn er seinen Sensoren trauen konnte, waren nicht einmal mehr Fresser hier, ein sicheres Zeichen, dass nichts so blieb, wie es einmal gewesen war. Er schaute in Türen und Eingänge, Gassen und Seitenstraßen, als er weiterfuhr, aber die Stadt war verlassen.
Gegen Mittag erreichte er die andere Seite, das Wetter wurde noch trüber, und der Himmel war von brodelnden Wolken überzogen. Es sah mehrmals so aus, als würde es regnen, doch es war ein leeres Versprechen.
Er fuhr durch die Außenbezirke der Stadt, an nicht enden wollenden Vorstädten, Schulen und Kirchen vorbei. Niemand war zu sehen. Wenn die Seuche zuschlug, ging man kein Risiko ein. Nicht, dass es viele Ziele gab. Aber vor Krankheit, chemischen Angriffen und Überfällen zu fliehen, entsprach dem Instinkt des Menschen. Man rannte davon, weil es die letzte Verteidigung war, bevor die Dinge zu überwältigend wurden.
So war es nicht immer gewesen. Am Anfang hatten die Menschen sich noch gewehrt, selbst gegen diese Art von Zerstörung. Es lag in ihrem Wesen zu kämpfen, sich nicht einschüchtern zu lassen, ihr Leben für das zu geben, woran sie glaubten. Selbst als die Regierungen sich aufgelöst hatten oder einfach verschwunden waren, hatten die einfachen Leute noch fest beisammen gestanden. Ihr Glaube würde sie schützen, dachten sie. Ihr Mut könnte das Schlimmste abwehren. Aber sie hatten sich geirrt, und am Ende waren die meisten gestorben. Die Überlebenden hatten begriffen, dass ihnen trotz Glaube und Mut etwas fehlte. Gutes Einsichtsvermögen und Vernunft waren ebenfalls gefragt. Als die Welt rings um sie zusammenbrach, mussten sie erkennen, wann sie standhalten und wann sie
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