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Kinder der Apokalypse

Kinder der Apokalypse

Titel: Kinder der Apokalypse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Brooks
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die meisten, wusste er, dass er ein Risiko auf sich nahm. Seine Augen waren gut genug, dass er im Dunkel fast so deutlich sah wie bei Licht, und außerdem verfügte er über ein ausgesprochen gutes Gehör. Aber die Dunkelheit konnte verräterisch sein, und es verbargen sich hier Wesen, die noch sehr viel besser sehen und hören konnten als er. Er hatte den Ghosts genau aus diesem Grund verboten, nachts nach draußen zu gehen, selbst in Gruppen. Hawk ging jedoch, weil es die einzige Zeit war, in der Tessa riskieren konnte, sich mit ihm zu treffen.
    Aber er war an diesem Abend besonders vorsichtig, wegen dem Etwas, das die Krächzer am Hafen und die Echse in der Innenstadt getötet hatte. Etwas Großes und Gefährliches war in der Stadt unterwegs, und es jagte. Wenn es eine ausgewachsene Echse und ein Rudel Krächzer umbringen konnte, konnte es einen Straßenjungen wahrscheinlich ohne Probleme töten. Sogar einen Straßenjungen mit einem Hund wie Cheney.
    Das Licht ließ nach, aber es war noch nicht so dunkel, dass Hawk nicht die First Avenue hätte entlangschauen können, ein Durcheinander von verlassenen Autowracks und eingestürzten Häusern. Er ging rasch durch die Trümmer, hielt sich in der Mitte der Straße, ließ Cheney vorgehen und das Tempo bestimmen. Die Stadt war still und fühlte sich leer an, aber er wusste, dass es hier überall von Leben wimmelte. Einiges von diesem Leben kannte er, wie die Gruppe von Spinnen, die im Lagerhauskomplex lebte, das sich unmittelbar gegenüber dem Lager erhob, und die kleine Echsenfamilie, die sich in einem ehemaligen Wohnhaus niedergelassen hatte. Es gab auch Krächzer hier, aber nicht viele, wegen des Lagers. Die Krächzer waren mutig, aber sie fürchteten offenes Gelände. Sie zogen die dunkleren, isolierten Orte vor. Selbst in Rudeln mieden sie die Lager.
    Aber Hawk war alleine und draußen, also wusste er, dass er leichte Beute darstellte. Die Krächzer würden ihn beobachten.
    Sein schlanker Schatten wurde länger und die Luft kühler. Es war irgendwann mitten im Jahr, obwohl er nicht genau wusste, welcher Monat. Owl hätte es gewusst, aber sie erwähnte diese Dinge selten, weil sie nicht zählten. Uhren und Kalender waren für die, die in den Lagern wohnten und ein Gefühl von Vergangenheit kultivierten, von der sie nicht akzeptieren wollten, dass sie tot und für immer verschwunden war. Wer auf der Straße lebte wie die Ghosts, tröstete sich nur mit der Gegenwart, nicht mit Erinnerungen. Die meisten von ihnen sprachen nicht einmal mehr über ihre Eltern, falls sie sich überhaupt an sie erinnern konnten. Ihre alten Familien waren Geschichte, die man einmal erzählt und dann überwiegend vergessen hatte. Ihre alten Familien waren nicht mehr real.
    Einige von ihnen konnten sich immer noch an etwas aus ihren früheren Leben erinnern. Hawk gehörte nicht dazu. Er erinnerte sich beinahe an nichts, und die wenigen Erinnerungen waren so bruchstückhaft und fern seiner derzeitigen Wirklichkeit, dass er ihnen keinen Zusammenhang verleihen konnte. Sein Vater war ein gesichtsloser Schatten, aber hier und da konnte er einen Blick auf seine Mutter werfen – ein Bild ihres Gesichts an einer schmuddeligen Wand, ein Winken ihrer Hand im Schatten, ihr Lachen im Schrei einer Möwe. Er konnte die Stücke nie zusammenfügen, sie nie eins werden lassen. Selbst die Einzelheiten seiner Vergangenheit waren vage. Er erinnerte sich, an der Küste von Oregon geschwommen zu sein. Er erinnerte sich an den Strand. An nicht viel mehr. Es war beinahe, als hätte er kein Leben gehabt, bevor er in diese Stadt gekommen war.
    Er zuckte innerlich die Achseln. Das Leben, bevor er hier gelandet war, zählte ohnehin nicht. Die Ghosts erfanden ihr Leben auf mehr Weisen neu, als man sich vorstellen konnte. Bräuche und Rituale beispielsweise – alle neu. Owl stellte Regeln für Essen, Schlafen und Waschen auf. Hawk teilte ihnen Aufgaben zu. Routine bewirkte, dass sie sich aufs Überleben konzentrierten. Sie hatten keine Feiertage. Niemand außer Owl konnte auch nur mehr als einen oder zwei nennen. Sie feierten sie in den Lagern, das wusste er. Manchmal erzählte Tessa begeistert von diesen Feiern, aber all das klang für ihn zufällig und gezwungen. Nur noch ein heftigeres Klammern an die Vergangenheit. Es schien sogar Streit darüber zu geben, welche Feiertage es wert waren, dass man sich an sie erinnerte. Die Ghosts feierten Geburtstage, obwohl die meisten von ihnen nicht mehr wussten, wann sie wirklich

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