Kinder der Dunkelheit
Taten folgen! Wollt Ihr Eure Hand auf den Besitz legen, so müsst Ihr nunmehr handeln, und zwar rasch.“
Don Ricardo schritt unruhig durch die Halle. Seine Augen wande rten immer wieder zu der Schriftrolle, die ihm wie die Verheißung der ewigen Glückseligkeit erschien. Er hatte so lange darauf hingearbeitet! Er war geduldig gewesen; hätte er den falschen Zeitpunkt gewählt, wäre möglicherweise alles verloren gewesen. Doch jetzt hatte sich alles auf das Wunderbarste ergeben. Seine Wünsche standen vor ihrer Erfüllung, all seine Wünsche! Aber Don Alonso hatte recht. Er würde zügig reagieren müssen, niemand durfte Verdacht schöpfen, je schneller er handelte, desto besser.
Er trat an den Tisch und griff nach der Schriftrolle. Andächtig strich er über das wächserne Siegel der Königlichen Hoheiten Ferdinand und Isabella. Es war dieses Siegel, das seine langen Bemühungen nun mit Erfolg krönen würde. Jetzt stand ihm nichts mehr im Wege – bis auf den einen.
4.
Es war ein unruhiger Schlaf gewesen, in den Mohammed erst gefallen war, als schon der Morgen dämmerte. Er mochte etwa zwei oder drei Stunden geschlafen haben, als ihn der Lärm im Haus weckte. Schlaftrunken wand er sich aus seinem bequemen Bett und ging mit noch immer unsicherem Schritt auf den Balkon. Tatsächlich! Sein Vater hatte seine Pläne bereits in die Tat umgesetzt und so standen im Hof zahllose Reisekisten, die von einigen Dienern sorgsam auf die großen Transportkutschen verpackt wurden.
Fathi überwachte das Beladen der Wagen und gab fortwährend auf die ihm eigene, besonnene Art Anweisungen, wie die Leute am schnellsten und besten vorgehen sollten. Die Endgültigkeit von dem, was er da sah, machte Mohammed traurig. Vor allem aber machte sie ihn wach.
Rasch ging er zurück ins Haus, wusch sich, so gut er das in der Eile konnte, und kleidete sich an. Als er seine Räume verließ, überfiel ihn die hektische Betriebsamkeit wie eine Flutwelle. Asma rannte zwischen den eifrig Arbeitenden herum und brachte ihre Spielsachen in Sicherheit.
„Das muss alles mit, ohne die ganzen schönen Sachen gehe ich hier nicht weg!“
Mohammed hörte seine Mutter in einem Nebenzimmer seufzen, aber wie nicht anders zu erwarten, wurden die Wünsche der Jüngsten offenbar erfüllt und diverse Schätze wie ihre von befreundeten Künstlern extra angefertigten Märchenbücher verschwanden sicherlich irgendwo in großen Reisekisten.
Schweigend und sichtlich nachdenklich stellte Ridha seine Ki sten in den Hof, Mohammed konnte die tiefe Traurigkeit in den Augen seines Bruders sehen. Ridha hing an seinem Zuhause, vielleicht mehr noch als alle anderen. Der Schöngeist der Familie hatte gemeinsam mit seiner Mutter große Teile der herrlichen Gärten entworfen, Brunnen gezeichnet und dann mit den Baumeistern gekonnt umgesetzt. Kein Wunder, dass ihm der Abschied schwerfiel.
Mohammed atmete tief durch und ging dann zu seiner Mu tter, die gerade sorgfältig einige der wertvollsten Kunstwerke verpackte.
„Guten Morgen, Mama. Ich wusste nicht, dass es so schnell gehen muss. Ihr seid ja fast fertig für den Aufbruch.“ Er zog seine Mutter in die Arme und küsste sie liebevoll auf die Wangen. Die sonst so glänzende karamellfarbene Haut seiner Mutter wirkte heute blass, sie sah schrecklich müde aus. Immerhin gelang ihr ein Lächeln beim Anblick ihres Erstgeborenen.
„Ja, dein Vater hat beunruhigende Nachrichten aus Toledo erha lten. Achmad und seine Familie sind auf ihrer Reise nach Cordoba spurlos verschwunden. Sie wollten gemeinsam mit ihren Kindern al Andalus verlassen, doch kamen sie nie in Cordoba an. Nur zwei Tage, nachdem sie verschwunden waren, ging ihr Hab und Gut an die Kirche über. Du weißt, was das bedeutet, mein Sohn? Selbst du kannst nicht die Augen davor verschließen, wie skrupellos die Christen vorgehen, sobald es um ihren ganz persönlichen Vorteil geht!“
Mohammed schüttelte tief erschüttert den Kopf. Er hatte die Familie von Kindesbeinen an gekannt, mit deren Sprösslingen gespielt, als sie klein waren, und nun sollten sie … nein, er wollte sich nicht vorstellen, was mit ihnen geschehen sein musste! Doch mehr und mehr wurde ihm bewusst, wie bedrohlich ihrer aller Lage tatsächlich war. „Ummi, Mutter, hab keine Angst! Wir werden dieses Land verlassen, und zwar schnell. Ich werde alles daransetzen, dass ich bei euch sein kann.“
Das Gesicht seiner Mutter entspannte sich ein wenig bei dieser Ankündigung. Sollte ihr Großer
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