Kinder der Dunkelheit
neben der Laterne.
„Du Dreckschwein, ich mach dich kalt!“ Er hatte Mut, das musste man ihm lassen. Leider war dieser offenbar nicht mit Intelligenz gepaart und daher griff der zweite der beiden Brüder den Vampir tatsächlich an.
Sabine konnte nur staunen, so viel Mumm hätte sie dem kleinen, schmierigen Straßenräuber nicht zugetraut. Doch er kam gar nicht erst an den Riesen heran. Dieser fegte ihn mit einer einzigen Handbewegung wie ein lästiges Insekt beiseite, sodass der widerliche Kerl sich einige Meter entfernt zu seinem Bruder gesellte. Während die beiden ihre noch heil geblieben Knochen sortierten, wandte sich der Fremde Sabine zu.
„Alles in Ordnung?“
Sabine nickte und nachdem er jetzt endlich den undurchdringlichen Vorhang an Haaren etwas aus dem Gesicht gestrichen hatte, konnte sie dieses zum ersten Mal wirklich sehen: ein bildschönes, jedoch kaltes Gesicht mit Augen, die jedem, der ihm begegnete, wahrscheinlich das Blut in den Adern gefrieren lassen konnten. Ohne groß nachdenken zu müssen, lieferte ihr Unterbewusstsein den Namen des Mannes, der hier direkt vor ihr stand, auf dem Silbertablett: Stefano! Ja, das musste er sein.
Es sah aber nicht so aus, als ob er ihr etwas antun wollte. Einen Moment lang musterte er sie eingehend. Sabine wagte kaum, sich zu bewegen. Noch immer mit dem Rücken zur Wand, war sie inzwischen klatschnass, wobei der Angstschweiß in ihrem Rücken inzwischen Regenwasser gewichen war. Sollte ihr tatsächlich ausgerechnet der Stefano aus der Patsche geholfen haben? Der, den alle so fürchteten? Sie sah, wie sich Silvio hinter Stefanos Rücken hochrappelte und eine Pistole hervorzerrte. Was für ein Volltrottel!
Der Vampir seufzte leise. „Menschen! Ist es denn so schwierig, sein Gehirn zu gebrauchen? Und du, schöne Frau, du nimmst jetzt lieber die Beine in die Hand.“
Sabine nickte wortlos und wollte sich an ihm vorbeidrücken, als er eine Hand ausstreckte und sie an der Schulter festhielt. „Nein, dort, gleich neben dir. Los, verschwinde! Der Durchgang geht hinaus zur nächsten Piazza.“
Sabine blickte ratlos auf die Mauer und seinen ausgestreckten Zeigefinger. Tatsächlich, in dem Halbdunkel entdeckte sie bei genauem Hinsehen einen Torbogen, vielleicht nur auf einer Höhe von eineinhalb Metern, aber er war da. Sabine brachte ein „Danke!“ zustande, bückte sich und lief in den schmalen Durchlass zwischen den beiden eng nebeneinander stehenden Häusern. Er war von ihrer Position im Dunkeln aus tatsächlich nicht zu sehen gewesen.
Hinter sich hörte sie einen Schuss, dann einen erstickten Schrei und ein Knacken und Knirschen, das ihr verdächtig bekannt vo rkam. Jetzt aber nichts wie weg von hier, augenscheinlich war Stefano nicht von der nachsichtigen Sorte!
Kaum drei Meter weiter stand sie dann auch wirklich auf der Piazza San Tomas. Sie hätte vorhin einfach nur weiterlaufen müssen! „Toll gemacht, Sabine!“ Wütend auf sich selbst, rannte sie wie vom Teufel gehetzt zurück zum Palazzo. Dort würde man ihr wahrscheinlich zuerst die Haut abziehen und sie dann lan gsam über dem Kamin rösten – mindestens.
Doch stattdessen lief ihr Andrea vollkommen aufgelöst entg egen. „Endlich! Wir haben uns solche Sorgen gemacht! Ich hatte Glück, dass Sigñore Angel sich selbst Riesenvorwürfe machte, ich kam relativ glimpflich davon. Warum, um Himmels Willen, haben Sie Ihr Handy nicht dabei?“
„Hab ich doch. Ganz sicher!“ Sabine kramte hektisch in ihrer Handtasche und förderte das Smartphone, das Luca ihr gegeben hatte, zutage. „Oh, blöd, der Akku ist leer.“ Mit dem toten Mobiltelefon in der Hand, den nassen Haaren, der zerknautschten Bluse, die ihr klatschnass am Rücken klebte, und der Sommerhose, die bis zu den Knien mit klebrigen Dreckspritzern übersät war, gab sie anscheinend ein ziemlich mitleiderregendes Bild ab.
Andrea atmete nur tief durch, nahm ihr die Einkaufstüten ab und meinte stirnrunzelnd, sie solle jetzt erst mal unter die heiße Dusche gehen, er würde ihre Sachen später nach oben bringen. Sie wagte gerade noch, zu fragen, wo Angel sei, denn sie wollte sich ihre Standpauke lieber so schnell wie möglich abholen.
„Der sucht Sie, ich gebe ihm Entwarnung und sage ihm, dass Sie jetzt erst mal duschen müssen und dann einen heißen Tee brauchen. So, wie ich ihn kenne, gönnt er sich auf den Schreck kurz sowieso erst mal einen kleinen Snack. Dann ist seine Laune später wenigstens wieder etwas besser, okay?“
Sabine
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