Kinder der Dunkelheit
Das hatte ihr jetzt g erade noch gefehlt! Sie hoffte inständig, dass es nur Spaziergänger waren, die wie sie eine Abkürzung suchten. Schon sah sie die schön geschwungene Mauer des Gebäudes, das eigentlich das letzte Haus hier im Durchgang sein sollte. Wer auch immer da hinter ihr lief, hatte sein Tempo verdoppelt. Sabine horchte genauer hin. Das war nicht nur einer, das waren zwei, die sie verfolgten! Sie war sich absolut sicher, dass es keine Vampire waren, denn die wären sicher wesentlich leiser gewesen. Mit der Lautlosigkeit der Vampire hatte sie inzwischen so ihre Erfahrungen gemacht. Diese Erkenntnis machte die Sachlage aber auch nicht wirklich besser. Zielstrebig hastete sie weiter, um sich urplötzlich vor der Rückmauer eines Gebäudes wiederzufinden. Verdammt, das war absolut unmöglich! Die Venezianer hatten keine Sackgassen gebaut, sie waren ja nicht blöd und wussten sehr genau, dass sie im Notfall Fluchtwege haben mussten. Wo zum Henker war hier also der Ausgang?
„Wohin denn so eilig, die Dame? Haben wir uns verlaufen?“
„Wenn schon, dann habe ich mich verlaufen, du Trottel!“ Sabine zog es vor, diesen Gedanken nur sehr leise vor sich hinzumurmeln. Es blieb ihr leider nichts anderes übrig, als sich umzudrehen. Lediglich drei kleine Laternen erhellten kläglich die Gasse. Wie sie es geahnt hatte, waren es zwei Männer, die ihr gefolgt waren. Definitiv keine Vampire, denn das breite Grinsen des Größeren der beiden brachte so viele Zahnlücken zum Vorschein, wie Venedig Brücken hatte. Sabines Italienisch war ganz passabel, aber diese Kerle sprachen einen grauenhaften Dialekt, den sie kaum verstehen konnte. Kein Vergleich mit der schönen Aussprache der Venezianer.
„Ja, ich habe wohl die falsche Abzweigung genommen, daher werde ich jetzt einfach umdrehen.“ Es widerstrebte ihr, die Typen auch nur anzusehen. Sie trugen schmuddelige Klamotten, hatten beide einen kurzen Bürstenhaarschnitt, nach oben gegelte Haare und stanken einen Kilometer gegen den Wind nach Nikotin und Alkohol.
„Da würden wir dich aber gern begleiten, sonst passiert dir noch was.“
„Oh, danke. Aber ich ziehe es wirklich vor, allein zu gehen.“
„Aber, aber, wenn uns schon so ein blonder Engel in die Arme fliegt, dann werden wir diesen doch nicht so schnell wieder loslassen, oder? Was meinst du, Bruder?“ Langsam und mit einem stupiden Grinsen im Gesicht, das Sabine anwiderte, näherte sich ihr der Typ.
Hektisch suchte sie nach einem Ausweg. Saß sie denn tatsäc hlich in der Falle? „Ich würde euch ernsthaft empfehlen, mich in Ruhe zu lassen. Mein Freund ist ganz in der Nähe, wenn der euch in die Finger bekommt, dann gnade euch Gott.“
Der Kleine hob theatralisch die Arme zum Himmel. „Ach Enge lchen, mit Gott haben Silvio und ich schon lange unseren Frieden gemacht, nicht wahr?“ Er bekreuzigte sich mit einem dermaßen ekelhaften Grinsen, dass Sabine langsam übel wurde.
Es sah nicht gut für sie aus und zu allem Überfluss fing es auch wieder leicht zu nieseln an. Dunkelheit, Regen und die zwei schrägen Gestalten direkt vor ihr – in eine tolle Situation hatte sie sich da hineinmanövriert! Langsam bekam sie es mit der Angst zu tun. Fest umklammerte sie die Tragegriffe der Einkaufstüten.
„Jetzt stell dich nicht so an, Blondie, so schlimm sind wir ja auch wieder nicht und ein kleines Geschenk für unsere arme Familie hast du doch sicher auch noch in deinem Täschchen da.“ Silvio deutete auf ihre Handtasche, die an einem langen Trag eriemen über einer ihrer Schultern hing und die sie mit einem Arm fest an den Körper presste.
„Wenn ihr Geld wollt, dann nehmt es euch und verschwindet!“ Ihr Herz klopfte wie verrückt. Was gäbe sie jetzt dafür, wenn Angel hier hereinplatzte, auch wenn er sie anschließend wohl höchstpersönlich um einen Kopf kürzer machen würde!
„Blondie, du hast das nicht ganz verstanden, uns geht es nicht nur ums Geld. So oberflächlich sind wir gar nicht. Uns geht es schon auch … ums Zwischenmenschliche.“ Silvios Bruder kicherte begeistert über seinen eigenen Scherz.
Sabine nahm ihren letzten Mut zusammen und zischte wütend: „Lasst mich in Ruhe oder ich schreie!“
Das war ganz klar der falsche Satz gewesen, denn beide zückten plötzlich ihre Klappmesser. Sie wusste, wie scharf die Dinger waren. Und jetzt ergriff die Angst wirklich Besitz von ihr. Kalter Schweiß vermischte sich mit den Wassertropfen, die ihr von dem Mauervorsprung aus, an den sie
Weitere Kostenlose Bücher