Kinder der Dunkelheit
gerade zu dämmern. Wir sehen uns dort. Ich freue mich auf dich und vergiss bitte nicht, dass wir dich lieben!“
„Ich liebe euch auch, meine zwei Frauen – das kann ja noch heiter werden.“ Jorge schickte einen Kuss durch die Leitung und beendete das Gespräch.
Samira schloss das Haus ab und warf kurz darauf ihre Tasche auf den Rücksitz. Sie wartete, bis ihre Beifahrerin sich ang eschnallt hatte und startete dann ihren geliebten Range Rover. Sie liebte es, selbst zu fahren. Geschickt manövrierte sie ihn durch den engen Berufsverkehr hinaus auf die Umgehung, wie Jorge ihr geraten hatte. Ja, hier fuhr es sich angenehm, freie Straßen waren super. Samira trat das Gaspedal durch und der große Geländewagen rauschte über die für tunesische Verhältnisse gut ausgebaute Straße. Lediglich der riesige Jeep, der jetzt zum Überholen ansetzte, war noch schneller unterwegs als sie. Samira fuhr etwas zur Seite, damit der Fahrer mit dem großen Wagen leichter vorbeikommen konnte. Gleichzeitig schaltete sie die Heizung höher, seltsam, vorhin war ihr kein bisschen kalt gewesen. Sie würde doch nicht krank werden?
Es war der schrille, erschrockene Schrei ihrer Dienerin, der sie auf das Hindernis aufmerksam machte. Instinktiv trat sie die Bremse durch, bis sie fast auf dem Bodenblech aufkam. Zuerst raste er wie ein Berserker und jetzt blockierte er die Straße! Was für ein Trottel! Das war richtig knapp gewesen, der Range Rover kam nur eine Handbreit vor dem Jeep zum Stehen. Samira hatte keine Zeit, um sich aufzuregen. Ehe sie wusste, wie ihr geschah, wurde die Tür ihres Wagens aufgerissen. Das Letzte, was sie hörte, war eine Männerstimme.
„Respekt, sie sieht ja tatsächlich so aus wie Ares sie beschrieben hat und ich dachte, er übertreibt.“
Zwei Stunden später warteten Jorge und seine Begleiter mit wac hsender Sorge noch immer an der Einfahrt zum vereinbarten Treffpunkt. Samira hätte längst hier sein müssen! Doch sie kam auch in der nächsten Stunde nicht, sie war einfach wie vom Erdboden verschluckt.
Zuerst dachte Sabine, es wären Böllerschüsse, was in Venedig durchaus einmal vorkommen konnte, doch dann erkannte sie, dass es Donner war. Sie und die Sigñora waren so in ihr Gespräch und in ihre Begeisterung über ihre mittlerweile vier unterschiedlichen heißen Schokoladen vertieft gewesen, dass sie die Zeit vollkommen vergessen hatten. Ein Blick nach draußen ließ Sabine nichts Gutes ahnen. Der Himmel hatte sich in kürzester Zeit verfinstert und prompt wurde der warme, sonnige Tag vom ersten Gewitter des Jahres verabschiedet. Na super! Es goss in Strömen und Sabine wurde ein wenig mulmig zumute. „Keine Angst, Sabine, das hört gleich wieder auf, es ist nur ein kräftiger Schauer“, versuchte die Sigñora, sie zu beruhigen. Es blieb ihnen auch nichts anderes übrig, als zu warten, bis das Schlimmste vorüber sein würde.
Eine Stunde und eine allerletzte Schokolade später konnten sie endlich den Heimweg wagen. Allerdings fiel Sabine siedend heiß ein, dass sie noch ihre Einkäufe abholen musste – verflixt, das hätte sie beinahe vergessen!
Sabine versprach der Sigñora zum Abschied, sie in nächster Zukunft zu besuchen, und verabschiedete sich mit einer herzl ichen Umarmung von der mütterlichen Freundin. Der Nachmittag war schön gewesen, auch wenn er jetzt etwas chaotisch endete. Sie winkte der Dame noch nach, bis diese um die nächste Ecke verschwunden war, und machte sich dann im Laufschritt auf den Weg zur Boutique. Sie konnte nur hoffen, dass dort noch geöffnet war, immerhin dämmerte es schon.
Aber sie hatte Glück: Lucia, die Eigentümerin, winkte ihr schon durchs Schaufenster zu. Als sie sich nach einer herzlichen Vera bschiedung wieder mit all ihren Einkäufen auf den Weg machen wollte, gab ihr Lucia den Tipp, doch die Abkürzung durch die kleine Gasse vorn an der Piazza zu nehmen. Rechts am anderen Ende sollte sie dann direkt an der Piazza San Tomas herauskommen und wäre dann schon fast am Palazzo.
Sabine war erleichtert, verließ eiligst das Geschäft und lief zie lstrebig zu der angegebenen Piazza. So schnell wie möglich sprintete sie durch winzige Durchgänge und Torbögen, um schnell wieder unter Menschen zu sein. Eine kleine Weggabelung stellte sie kurzfristig vor die Herausforderung, zu entscheiden, ob es nach links oder rechts ging. Sie glaubte, sich erinnern zu können, dass es nach rechts ging und bog um die Ecke..
Kurz darauf hörte sie Schritte hinter sich.
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