Kinder der Dunkelheit
unter deiner Würde.“
„Dazu müsste er aber wissen, was Würde ist“, motzte Selda leise.
Ares war mit nur zwei Schritten bei ihr, schob seinen vor Zorn bebenden Vater sanft beiseite und ging vor Selda auf die Knie.
„Übertreib es nicht, Kleine. Du stehst auf verdammt dünnem Eis. Halte deine Zunge im Zaum, es könnte sein, dass du mit deiner Frechheit nicht nur dir schadest, vergiss nicht, dass es hier mehrere gibt, die uns auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind. Hast du das verstanden?“ Sein Gesicht war ganz nahe vor dem Seldas. Seine blauen Augen funkelten sicher ebenso verärgert wie die dunkelbraunen der aufgebrachten Türkin und eine Weile sah es so aus, als würde sie ihm am liebsten ins Gesicht spucken.
Doch dann entdeckte sie in seinem Blick etwas, das sie, wenn auch widerstrebend, zum Schweigen brachte. Ganz tief in diesen azurblauen Augen blitzte etwas auf, das sie dort niemals erwartet hatte. Mitgefühl?! Sie verwarf den Gedanken sofort wieder, sicher irrte sie sich. Warum sollte der Sohn dieses Monsters plötzlich zu so etwas wie Mitleid fähig sein? Fast erschien es ihr absurd, aber sie sah ein, dass es durchaus Sinn machte, jetzt doch den Mund zu halten. Schade, dass jemand, der jederzeit einen Erzengel hätte spielen können, ausgerechnet der Sohn des Teufels war. Zögerlich riskierte sie einen letzten Blick auf Ares, der in dem schmalen Lichtstrahl, der durch die geöffnete Kabinentüre drang, kniete und sie noch immer fast beschwörend anstarrte. „Schon gut, schon gut, ich bin ja still.“
Langsam erhob sich Ares zu seiner ganzen, beeindruckenden Größe. „Eine weise Entscheidung, Kleine.“
„Hör auf mich so zu nennen, mein Vater gab mir einen Namen. Ich heiße Selda, verdammt noch mal!“
„Gut, ich werde mir das merken. Komm, Vater, lass uns gehen, es wartet eine bezaubernde junge Dame auf dich, die es kaum erwarten kann, dich an ihrem Hals zu spüren.“
„Das hört sich gut an, die Damen werden gewiss verstehen, dass es in Sachen Nahrungsaufnahme ganz sicher problematisch wird, nach dem kleinen Gefühlsausbruch ihrer Mitstreiterin hier. Aber sie können ja alle ein wenig von ihrer eigenen Kraft zehren, nicht wahr?“ Alexandres fieses Lachen konnten sie noch hören, bis er am anderen Ende des Ganges angekommen sein musste, doch dann erstarb es endlich.
„Selda, Süße, bitte tu mir einen Gefallen. Nicht, dass ich dich nicht durchaus verstehen könnte, aber so ein wenig Blut oder zumindest Wasser, oder was auch sonst immer, wäre jetzt lan gsam gar nicht übel.“ Samira strich sich mit besorgter Miene über den Bauch. „Die Kleine fordert das ein, was sie braucht, und zwar ohne Rücksicht auf mich. Das könnte übel enden und ich habe keine Lust, diesen Kerlen auf die Nase zu binden, dass ich ein Kind erwarte.“
„Das verstehe ich absolut, tut mir ehrlich leid, aber ich hab ein Koordinationsproblem zwischen Zunge und Verstand.“ Selda sah so zerknirscht aus, dass sie Samira sofort wieder leid tat.
„Schon in Ordnung, dein Zorn ist ja gerechtfertigt, ich bitte dich nur, ihn so lange im Zaum zu halten, bis wir wieder etwas zu essen bekommen, in Ordnung? Dann kannst du den Kerl nennen, wie immer du möchtest. Wobei ich irgendwie das Gefühl habe, dass dein Mut zumindest seinem Sohn außerordentlich imponiert. Aber das bedeutet nicht, dass wir unser Schicksal weiter herausfordern sollten.“ Selda nickte reuevoll.
„Stimmt auffällig!“ Luisa versuchte erfolglos, sich so hinz usetzen, dass die Eisenkette ihr nicht andauernd auf das schlanke Handgelenk drückte. „Mir genügt das hier schon vollauf, ich mag mir gar nicht vorstellen, was der Kerl noch alles mit uns vorhat.“
„Nein, das wollen wir, glaub ich, alle nicht.“ Samira legte sich zurück auf ihr Bett und starrte müde und unglücklich in die Du nkelheit, während sich in ihrem Bauch das Kind zu regen begann.
„Endlich wieder festen Boden unter den Füßen.“ Abdallah streckte seine langen Gliedmaßen und strich sich das halblange Haar zurück. Raffaele sah ihn ein wenig verstört an. „Du hörst dich an, als wärst du um die halbe Welt geflogen. Ab und zu tendierst du zu Übertreibungen, mein alter Freund.“
Abdallah lächelte nachsichtig. „Du weißt, wie sehr ich das Reisen liebe.“
Raffaele gab auf. „Dir ist nicht zu helfen. Du weißt nicht, was dir entgeht. Es gibt eine Welt jenseits deiner Wüsten, fernab von Tunis und Karthago, das ist dir schon klar, oder?“
„Oh ja,
Weitere Kostenlose Bücher