Kinder der Dunkelheit
Satteltasche – eine sehr edle Satteltasche und somit ein gutes Behältnis für sein Vermögen, wie Mohammed befand. Da er wusste, dass er sich beeilen musste, stopfte er alles rasch in die Tasche, warf sie sich über eine Schulter und verließ das Haus, in dem er so viele glückliche Jahre verbracht hatte, ohne sich noch einmal umzusehen.
Vittorio und Raffaele erwarteten ihn, entspannt und sichtlich mit sich zufrieden, auf der Mauer sitzend. Als sie Mohammed deutlich verstimmt über den Hof stapfen sahen, ahnten sie schon, dass der Spanier es ihm etwas zu leicht gemacht hatte.
„Was ist passiert? Hat dein Don sich aus dem Fenster gestürzt, als er dich sah, oder warum schaust du aus, als hätte man dir dein Lieblingsspielzeug weggenommen?“
„Etwas in der Art. Er ist mitten in einer angeregten Unterha ltung einfach tot zusammengebrochen. Ich hatte noch nicht einmal richtig angefangen“, knurrte Mohammed.
Vittorio sah höchst amüsiert auf ihn hinunter. „Du willst uns also sagen, du hast ihn zu Tode erschreckt? Wir haben doch g esagt, du sollst deine Kräfte im Zaum halten!“
„Ihr beiden habt leicht reden! Ich habe ihn doch lediglich a ngelächelt und ihm sehr höflich seine Situation geschildert, aber selbst die freundliche Konversation war wohl zu viel für ihn. So ein Schwächling!“
Doch angesichts der deutlich sichtbaren Heiterkeit in den Mi enen seiner beiden Begleiter kam selbst Mohammed nun nicht umhin, der Sache eine positive Seite abzugewinnen.
Raffaele sprang mit gewohnter Eleganz von der Mauer, auf dem Fuße gefolgt von Vittorio, der sich suchend umsah. „Noch irgendwelche Pläne für diese Nacht? Denn falls ja, dann sollten wir uns beeilen, auch wenn das hier schneller ging als geplant. Ich nehme an, die ,Konversation‘ mit Juan verlief in deinem Sinne?“
„Oh ja, er hat zumindest annähernd für das gebüßt, was er getan hat.“ Mohammed nickte und sah nachdenklich in die Ferne. „Einer wäre da jedoch noch, denn auch wenn ich glaube, dass Pedro nur von Juan angestiftet wurde, so war doch er es, der uns zu guter Letzt hier in der Falle sitzen ließ.“
„ Weißt du, wo dieser Pedro lebt?“ Raffaele zupfte seine Kleider zurecht und sah Mohammed fragend an.
„Ja, aber sagt, wo sind eigentlich all die Menschen, die hier noch sein müssten? Wir hatten allein zwanzig Bedienstete auf dem ganzen Anwesen, der Don hatte keinesfalls weniger, habt ihr denn alle ...?“ Mohammed sprach nicht weiter, er wusste, sie würden auch so verstehen.
„Nein, natürlich nicht. Sie werden zwar bei Tagesanbruch ziemliche Kopfschmerzen haben, aber die wenigen, die er noch hatte, liegen im hinteren Stall. Nur zwei der Wachen mussten leider ihr Leben lassen, um sie war es aber auch nicht schade. Allerdings sollten wir uns jetzt tatsächlich ein paar schöne Pferde holen, dann geht es etwas schneller, den Rest noch zu erledigen. Was meint ihr?“ Vittorios Blick richtete sich besorgt in Richtung Sierra Nevada, wo irgendwann die Sonne aufgehen würde.
„Stimme zu! Junge, was denkst du?“ Raffaele wartete Mohammeds Antwort gar nicht erst ab, sondern spazierte bereits zu den Stallungen.
Mohammed grinste und schüttelte den Kopf. „Interessiert me ine Meinung hier irgendjemanden?“
„Immer, mein Junge – fast immer!“ Langsam dämmerte Mohammed, dass er noch viel Freude mit Raffaele und Vittorio haben würde. Sie sattelten drei der Pferde, die einst sowieso seiner Familie gehört hatten – unter anderem seinen geliebten Schimmel –, und verließen die Güter der al Hassarins mit einem allerletzten langen Blick zurück auf das nun ganz verlassene Herrenhaus.
„Soledad, du musst dich beeilen! Wenn wir vor Tagesanbruch hier weg sein wollen, dann müssen wir schnell sein. Die Kinder sind noch müde und wir werden sie tragen müssen. Es ist weit und gefährlich. Mein einziger Wunsch ist, dass wir sicher ankommen. Ich sehe draußen nach dem Rechten.“ Pedro schlüpfte in seine beste Jacke und knöpfte sie gewissenhaft zu.
Sie durften nicht auffallen. Sie mussten als reisende bürgerliche Familie angesehen werden – und zwar als harmlose Familie. Sicher hatten sie eine lange und beschwerliche Reise vor sich, aber dafür würde er nachher zumindest wieder einigermaßen ruhig und ohne nagende Schuldgefühle schlafen können. Sein einziges Pferd war zwar kräftig, aber nicht mehr das jüngste. Seine Kutsche verdiente diesen Namen nicht, doch bis zur nächsten Stadt würde es dieses Gespann
Weitere Kostenlose Bücher