Kinder der Dunkelheit
wohl tun müssen. Dort würde er das Pferd und den alten Wagen für das Geld verkaufen, das man ihm bieten würde, und dann konnten sie hoffentlich eine richtige Kutsche bekommen oder mit einem Schiff weiterreisen. Er drückte die verzogene Tür seines kleinen Hauses auf und trat hinaus in die Nacht. Gut so, bei Tag abzureisen, war unmöglich, sie wären dann in zu großer Gefahr gewesen. Müde schlurfte er zu dem kleinen Stall, um das Pferd einzuspannen. Die alte Stute war zwar sichtlich überrascht, ließ sich jedoch brav wie immer das Zaumzeug anlegen.
„Aber Pedro! Du willst doch nicht etwa verreisen, ohne dich von mir zu verabschieden?“
Pedro erstarrte. Er kannte diese Stimme, er kannte sie nur zu gut. Schließlich hatte er den, zu dem sie gehörte, aufwachsen sehen, ihm immer sein Pferd gebracht und ihn mehrmals auf seinen ersten Ausritten begleitet, wenn sein Vater beschäftigt war. Aber er wusste auch, dass Mohammed al Hassarin tot war! Sein Körper verweigerte ihm den Gehorsam, es gelang ihm nicht, sich umzudrehen. Starr und erschrocken stand er, noch immer die Zügel in der Hand, bewegungslos neben seiner Kutsche.
Es war Mohammed, der ihn schließlich eine Hand auf seine Schulter legte und ihn mit sanftem Druck zu sich umdrehte. „Was ist? Freust du dich nicht, mich zu sehen? Nach allem, was wir gemeinsam erlebt haben? Ich bin etwas enttäuscht, mein lieber Freund.“
Pedro starrte in das schöne, gänzlich unversehrte Gesicht seines ehemaligen Herrn. Das war unmöglich! Juan hatte sich überall damit gebrüstet, dass er den jungen al Hassarin eigenhändig zu Tode gefoltert hatte. Er war tot – ebenso, wie der Don auch seine ganze Familie ausgelöscht hatte. Und doch stand er hier leibhaftig vor ihm, blasser als sonst und bedrohlicher, mit einem Lächeln, das den Tod verkündete. Pedro atmete tief ein. Gut, er hatte es so verdient. Wenn Mohammed von den Toten auferstanden war, um ihn zur Rechenschaft zu ziehen, dann musste es so sein, aber er durfte seine Familie nicht antasten, schon gar nicht jetzt, denn dann wäre alles verloren. Zu Mohammeds Erstaunen fing Pedro nicht an zu schreien oder zu betteln, nein, er straffte seine Schultern und sah mutig zu ihm auf.
„Herr, wenn ihr zurückgekommen seid, um Euren Tod und den Eurer Familie zu rächen, so werde ich mich nicht dagegen wehren . Ich war schwach, ich hatte Angst und ich habe feige gehandelt, aber ich habe es für meine Familie getan. Juan drohte, sowohl meine Frau als auch mein kleines Mädchen zu töten, wenn ich seine Anweisungen und die des Don nicht befolgen würde. Hier bin ich, ich bin bereit, für das zu bezahlen, was ich getan habe. Aber ich flehe Euch an, schont meine Familie und verschont vor allen anderen das Kind, das dort mit im Haus ist. Es darf nicht das Grauen, das es sah und dem es so mutig und so klug entronnen ist, überlebt haben, um jetzt dem Don doch noch in die Hände zu fallen! Bitte lasst die drei ziehen, sie müssen von hier fort, noch bevor der Tag anbricht, sonst sind sie in zu großer Gefahr.“
Pedros Mut und seine Worte verwunderten und verunsicherten M ohammed. Ihm war bewusst, dass er immer unter dem großen Einfluss des rücksichtslosen Juan gestanden hatte, doch konnte das allein sein Handeln entschuldigen? Gerade wollte er zu einer Antwort ansetzen, als aus dem Haus die Stimme von Pedros Frau erklang.
„Kommt, Mädchen, ihr müsst euch eilen! Ihr werdet später weite rschlafen können, ich verspreche es, jetzt aber müssen wir aufbrechen. Rasch, ihr Süßen, zieht eure Umhänge an!“
Die Stimme, die ihr antwortete, hätte Mohammed auch ohne sein neues feines Gehör unter Tausenden erkannt.
„Tia Soledad, ich helfe dir, ich ziehe Anita an, ich kann das.“
Mohammed wäre um ein Haar gestrauchelt, er konnte nicht glauben, was er hier hörte. Er griff nach Pedros Schultern und schüttelte ihn, als könne er die Antwort auf nicht gestellte Fragen aus ihm herausschütteln. „Pedro, das kann nicht sein! Ist sie es wirklich? Wie kommt sie hierher?“
Pedro nickte unter Tränen. „Ja, Herr, sie ist es. Sebastian, der Hauptmann von Don Ricardos Leuten, fand sie verwundet in einer Mauernische des Hauses. Obwohl sie einen Schwerthieb abbekommen hatte, war sie so klug, sich ins Haus zu schleppen und sich dort zu verstecken. Als Sebastian sie fand und sah, dass sie nicht lebensgefährlich verletzt war, dachte er nicht lange nach. Er verband ihre Wunde behelfsmäßig mit einem Stofffetzen , versteckte sie
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