Kinder der Dunkelheit
Mandelblüte hätte genießen können. Anfang Dezember letzten Jahres, also schon vor über zwei Monaten, war seine Tochter Carla spurlos verschwunden und vor einer Woche fand er seinen einzigen Sohn am frühen Morgen tot am Strand. Mühsam hatte er nach dem Verschwinden von Carla versucht, Haltung zu bewahren, weiterzuleben und seiner Frau Mut zu machen, aber die ausgeblutete Leiche seines Sohnes zu finden, war endgültig zu viel für ihn gewesen. Ohne große Erklärungen hatte er seine Frau in das behütete Familiendomizil der Danieli nach Rom bringen lassen und damit begonnen, sich in seinem Anwesen zu verschanzen. Sein Vater hatte tagelang verzweifelt auf ihn einzuwirken versucht, leider vergebens. Die Trauer und der Hass trieben Pietro Schritt für Schritt in den Wahnsinn. In den Nächten begann er, harmlose Spaziergänger zu überfallen und sie fast blutleer zurückzulassen. Als ihm das nicht mehr genügte, tötete er Einheimische, in dem irren Glauben, dabei den Mörder seines Sohnes zu finden. Pietro hatte nicht nur die Kontrolle über sich verloren. Er war zu einer Gefahr für die Kinder der Dunkelheit geworden, da er auf niemanden mehr hörte. Daher wusste Massimo, auch wenn es ihm das Herz brechen würde, was er zu tun hatte.
Luca war erstaunt gewesen, wie gefasst der Fürst bei ihrer B egrüßung am Hafen gewirkt hatte. Er selbst hätte für sich in der gleichen Situation nicht die Hand ins Feuer legen können. Massimo kannte Luca und wusste, er würde seine Aufgabe so präzise erledigen, wie man es von ihm gewohnt war. Luca bremste das Quad und sah sich rasch um. Sein Instinkt hatte ihn nicht betrogen, er hatte sein Ziel erreicht. Eilig schob er das Gefährt unter ein paar große Büsche, die bereits einige Blüten, die ersten duftenden Boten des Frühlings, trugen. Den Rest des Weges musste er zu Fuß bewältigen, das laute Quad hätte zu viel Aufmerksamkeit erregt.
Wie ein schwarzer Panther rannte Luca durch die Nacht und erreichte nur wenig später die Mauern von Pietros Anwesen. Fürst Massimo hatte am vergangenen Morgen die Wächter abg ezogen, die schon seit Carlas Verschwinden dort für Sicherheit gesorgt hatten. Wenn sein Enkel sich an die Anweisungen, nur mit einem Leibwächter loszuziehen, gehalten hätte, würde er vielleicht noch leben und Luca stünde jetzt nicht hier. Doch alles Wenn und Aber war mit der heutigen Nacht unwichtig geworden.
Mit einem geschmeidigen Satz überwand Luca die zwei Meter hohe Mauer und kam geräuschlos im weichen Gras auf. Am ganzen Haus waren die hölzernen Fensterläden geschlossen und alles sah verlassen und leer aus. Aber er wusste es besser. Luca konnte Pietro wittern – und er war sehr gut zu spüren, denn sein Wahnsinn ließ ihn alle Vorsicht vergessen, er schirmte sich in keinster Weise ab. Leise umrundete Luca den Bungalow und kletterte dann blitzschnell auf das Dach des langgezogenen Gebäudes. Vor vielen Jahren hatten Pietro und er in einer warmen Sommernacht hier auf dem Dach gelegen und über ihre Zukunft nachgedacht. Große Pläne waren es gewesen und nun hatte das Schicksal beschlossen, dass es keine Zukunft mehr für den Freund geben sollte.
Luca fand die Fluchtluke sofort wieder, die vom elterlichen Schla fraum aus hinauf auf das Dach geführt hatte. Sie war unverschlossen. Im Innern des Hauses, das immer gepflegt und geschmackvoll eingerichtet gewesen war, roch es muffig und über den Möbeln lag eine hässliche Staubschicht. Lucas Schritte waren so leicht und leise, dass niemand ihn hören konnte. Aus der Küche drang flackernder Kerzenschein durch den Spalt der nur angelehnte Tür. Luca presste sich an die Mauer und stieß von dort aus behutsam die Tür weiter auf. Pietro stand mit dem Rücken zu ihm am Tisch und reinigte gerade seine Pistolen. Das braune, dichte Haar stand ihm wirr und ungepflegt vom Kopf ab und seine Jeans, ebenso wie sein hellbraunes Hemd, waren mit dunklen Blutflecken der Menschen übersät, die er angegriffen und zum größten Teil getötet hatte.
Luca zog seine Waffe aus dem Halfter am Gürtel. Langsam schob er sich in die Küche und näherte sich dem einstigen Freund. „Guten Abend, Pietro! Du siehst ziemlich mies aus.“
Der überraschte Vampir schoss herum und starrte Luca an, als sähe er ein Gespenst. Er zischte und begann vor Wut sofort, am ganzen Körper zu zittern.
„Verschwinde, hau ab, ich will hier niemanden sehen! Ich muss fertig werden und dann raus. Es gibt viel zu tun.“ Sein hohes, wildes Lachen
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