Kinder der Dunkelheit
es Abdallah schwer, die nun folgenden Worte zu verstehen. Also setzte der Fremde erneut an und nun endlich gelang es ihm, die schreckliche Nachricht zu überbringen: „Mein Herr war der Älteste unseres Volkes, Xerxes, das Licht in der Dunkelheit.“
Janan und Habib stießen bei dieser Nachricht beide einen e rschrockenen Schrei aus, während Abdallah regungslos vor dem Überbringer dieser entsetzlichen Mitteilung stand und versuchte, das soeben Gehörte zu verarbeiten. Endlich hatte er seine Fassung zurückgewonnen und wandte sich erneut an den Mann. „Das kann nicht sein, niemand wusste, wo er war, niemand außer den alten Fürsten! Und vor allem – niemand wusste, wer er war. Wie konnte das geschehen?“
Abdallahs Stimme klang so unendlich traurig und müde, dass sein Sohn zu ihm trat und eine Hand tröstend auf die linke Schulter des Vaters legte. Abdallah ergriff sie dankbar und hielt sie fest, als gäbe sie ihm die Kraft, weiterzusprechen. „Bitte erzähl uns, was du erlebt hast! Ich flehe dich an: Sprich!“
„Nachdem die Angreifer alle niedergemetzelt und sich noc hmals versichert hatten, dass alle bis auf meinen Herrn tot waren, den sie, als er bereits schwer verletzt war, mit eisernen Fesseln angebunden hatten, riefen sie über ein Funktelefon jemanden an, um ihm mitzuteilen, dass der Auftrag erledigt sei. Es war, als hätten sie einen Sack Reis abgeliefert und nicht soeben fast dreißig Unschuldige gemeuchelt! Am anderen Ende herrschte deutlich hörbare Freude über den gelungenen Anschlag, doch ich ließ mir nichts anmerken und stellte mich weiterhin tot. Dann hörte ich, wie der Sprecher antwortete, dass er irgendetwas ,sofort mit Freuden tun würde‘. Da ich im unauffälligen Blinzeln geübt bin, konnte ich genau sehen, was nun geschah: Er beendete das Gespräch, ging hinüber zu meinem Herrn, setzte ihm sein Schwert direkt aufs Herz und wies ihn an, ihm in die Augen zu sehen. Mein Herr zeigte keinerlei Schwäche, er war bereit für den Tod. Doch dann erwähnte der Mann, der ansetzte, ihn zu töten, wer den Auftrag dafür erteilt und wem er seinen baldigen Tod zu verdanken hätte.
Ich sah das Entsetzen im Angesicht meines Herrn und dann hörte ich den Schrei, kurz bevor das Schwert in seine Brust stieß. Sie ließen ihn liegen und verschwanden so lautlos, wie sie g ekommen waren: als dunkle Schatten in der Nacht. Ich war mehr tot als lebendig und wollte nur noch sterben, da hörte ich meinen Herrn rufen. Obwohl er sterbend im Sand lag, sprach er klar und deutlich zu mir, er wies mich an, zu ihm zu kriechen, meine Wunden mit seinem kostbaren Blut, in dem er lag und das noch immer aus ihm heraussprudelte, zu heilen. Ich wollte es nicht tun, doch er flüsterte, dass das Leben vieler davon abhinge. Also tat ich, was er mir befahl. Er wies mich an, in seinem geheimen Domizil einige Dokumente zu holen, die ich aber nicht öffnen sollte. Sie sind für Euch, Fürst Abdallah. Hier, bitte, mein Herr! Ich bin vier Tage lang gelaufen, um den letzten Willen meines Herrn zu erfüllen. Nun bin ich mit meiner Kraft am Ende und weiß nicht, wozu ich nun noch auf dieser Welt sein sollte.“
Er schluchzte und reichte Abdallah eine Rolle aus Leder. Es war altes Leder, an vielen Stellen porös, doch noch immer in einem Stück, obwohl es aussah, als habe es Jahrhunderte übe rdauert. Abdallah griff mit steinerner Miene danach und hielt es ehrfürchtig in den Händen, bevor er leise antwortete.
„Dies ist sie also, die Schriftrolle, die unsere größten Gehei mnisse in sich birgt. Bei allen Göttern, warum nur, warum musste ausgerechnet er sterben? Mit ihm ist so vieles von uns gegangen!“ Tränen schimmerten in seinen Augen, als er sich wieder an seinen verzweifelten Gast wandte. „Wie lange hast du ihm gedient und wie heißt du?“
„Ich durfte dreihundertsechsundsechzig Jahre an seiner Seite verbringen. Meine Mutter war eine seiner Blutsklavinnen, sie starb ebenfalls bei dem Überfall. Mein Name ist Hichem.“
Es schien Abdallah große Überwindung zu kosten, doch irgendwann musste die Frage gestellt werden, deren Antwort er offenbar so sehr fürchtete.
„Xerxes hat dir den Namen dessen gesagt, der ihn ermorden ließ, und du hast es auch aus dem Mund dieses Mörders selbst vernommen. Hichem, nenne mir den Namen!“
Der Mann sah Abdallah angsterfüllt an. Und dann sprach er den Namen aus, der seit über zweitausend Jahren eigentlich nur noch Staub in der Wüste sein sollte – den Namen desjenigen, der
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