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Kinder der Nacht

Kinder der Nacht

Titel: Kinder der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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zum Erdgeschoß mit eisenbeschlagenen Läden versperrt. Ein alter Mann, der auf der anderen Straßenseite auf einer Bank saß, sagte mir, daß das Restaurant seit mehreren Jahren geschlossen sei und der Staat überlegt hatte, ob man es in ein Museum umwandeln sollte, aber doch zu dem Ergebnis gekommen war, daß ausländische Touristen keine harten Devisen bezahlen würden, um ein verfallenes Haus zu sehen - nicht einmal wenn Vlad Dracula vor fünfhundert Jahren darin gewohnt hatte. Die Touristen gaben den großen Burgen den Vorzug, die einige hundert Kilometer näher bei Bukarest lagen; Burgen, die Jahrhunderte nach Vlad Ţepeşs Abdankung erbaut worden waren.
    Ich ging über die Straße zurück, wartete ab, bis der alte Mann seine Tauben gefüttert hatte und gegangen war, und dann zog ich den schweren Balken weg, der die Holztüren festhielt. Die Scheiben der Türen waren so schwarz wie die Seele von Copşa Mica. Die Türen waren verschlossen, aber ich kratzte an dem jahrhundertealten Glas.
    Fortuna öffnete die Tür und ließ mich ein. Die meisten Tische und Stühle waren an einer rustikalen Bar aufgeschichtet worden, Spinnweben spannten sich von ihnen zu den rußgeschwärzten Deckenbalken, aber Fortuna hatte einen Tisch heruntergezogen und mitten auf den Steinfußboden gestellt. Er staubte zwei Stühle ab, bevor wir uns setzten.
    »Hat Ihnen die Rundreise gefallen?« fragte er auf rumänisch.
    »Da«, sagte ich und fuhr in derselben Sprache fort, »aber ich hatte den Eindruck, Sie tragen ein bißchen zu dick auf.«
    Fortuna zuckte die Achseln. Er ging hinter die Bar, staubte zwei Zinnbecher ab und brachte sie zum Tisch.
    Ich räusperte mich. »Hätten Sie mich am Flughafen als Mitglied der Familie erkannt, auch wenn Sie mich nicht gekannt hätten?« fragte ich.
    Mein einstiger Führer ließ sein Grinsen erkennen. »Selbstverständlich.«
    Ich runzelte darüber die Stirn. »Wie? Ich habe keinen Akzent, und ich lebe schon seit vielen Jahren als Amerikaner.«
    »Ihr Benehmen«, sagte Fortuna und ließ das rumänische Wort von der Zunge rollen. »Ihr Benehmen ist viel zu gut für einen Amerikaner.«
    Ich seufzte. Fortuna griff unter den Tisch und holte einen Weinschlauch hervor, aber ich machte eine Geste und zog die Thermosflasche aus der Manteltasche. Ich schenkte für uns beide ein, worauf Fortuna so ernst nickte, wie ich ihn in den vergangenen drei Tagen nicht gesehen hatte. Wir stießen an.
    »Skoal«, sagte ich. Das Getränk war ausgezeichnet, frisch, immer noch auf Körpertemperatur und noch weit vom Gerinnen entfernt, wenn eine gewisse Bitterkeit einsetzt.
    Fortuna trank seinen Zinnbecher leer, wischte sich den Schnurrbart ab und nickte anerkennend. »Wird Ihr Konzern die Fabrik in Copşa Mica kaufen?« fragte er.
    »Ja.«
    »Und andere Fabriken ... in anderen Copşa Micas?«
    »Ja«, sagte ich. »Oder unser Konsortium wird europäische Investitionen dort unterschreiben.«
    Fortuna lächelte. »Das wird die Investoren der Familie freuen. Es werden noch fünfundzwanzig Jahre vergehen, bis dieses Land sich den Luxus leisten kann, sich Gedanken über Umweltschutz zu machen ... und über die Gesundheit der Bevölkerung.«
    »Zehn Jahre«, sagte ich. »Umweltbewußtsein ist ansteckend.«
    Fortuna machte mit Händen und Schultern eine Geste ... eine eigentümliche transsilvanische Geste, die ich seit Jahren nicht mehr gesehen hatte.
    »Da wir gerade von Ansteckung sprechen«, sagte ich, »die Situation in den Waisenhäusern ist Wahnsinn.«
    Der kleine Mann nickte. Trübes Licht von der Tür hinter mir erhellte seine Stirn. Hinter ihm war nur Schwärze zu sehen. »Wir verfügen hier nicht über den Luxus Ihres amerikanischen Plasmas oder privater Blutbanken. Der Staat müßte ein Reservoir zur Verfügung stellen.«
    »Aber das AIDS ...«, begann ich.
    »Wird eingedämmt werden«, sagte Fortuna. »Dank der humanitären Impulse Ihres Dr. Aimslea und Pater O'Rourkes. In den folgenden Monaten wird das amerikanische Fernsehen ›Sonderberichte‹ in 60 Minutes, in 20/20 und anderen Sendungen ausstrahlen, die Sie ins Leben gerufen haben, seit ich das letztemal in Amerika war. Die Amerikaner sind so sentimental. Ein öffentlicher Aufschrei wird durch das Land gehen. Unterstützung von sämtlichen Organisationen und von reichen Leuten, die sonst nichts mit ihrer Zeit anzufangen wissen, wird fließen. Familien werden adoptieren, ein Vermögen für kranke Kinder bezahlen, die in die Staaten geflogen werden, und die lokalen

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