Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kinder der Nacht

Kinder der Nacht

Titel: Kinder der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
für Babys. Jedesmal fünfzehn Lei.«
    Dr. Aimslea gab einen heiseren, kehligen Laut von sich, der wenig später in ein Kichern überging. Er bedeckte die Augen mit den Händen, stolperte rückwärts und lehnte sich an ein Tablett voller Flaschen mit dunkelroter Flüssigkeit. »Bezahlte Blutspender«, flüsterte er vor sich hin. »Leute von der Straße ... Drogensüchtige ... Prostituierte ... und das verabreichen sie den Säuglingen in staatlichen Waisenhäusern mit wiederverwendbaren, nicht sterilisierten Nadeln.«
    Das Kichern ging weiter, wurde lauter. Dr. Aimslea ließ sich in hockender Haltung auf den schmutzigen Handtüchern nieder, nahm die Hand nicht von den Augen, und das Kichern stieg von tief aus der Kehle herauf. »Wie viele ...«, wandte er sich an Fortuna. Dann räusperte er sich und versuchte es noch einmal. »Wie viele waren nach Schätzung dieses Doktor Patrascu mit AIDS infiziert?«
    Fortuna runzelte die Stirn und versuchte sich zu erinnern. »Ich glaube, er hat vielleicht achthundert unter den ersten zweitausend gefunden. Danach höhere Anzahl.«
    Unter dem Visier seiner Hand hervor sagte Dr. Aimslea: »Vierzig Prozent. Und wie viele ... Waisenkinder ... sind hier?«
    Unser Führer zuckte die Achseln. »Das Gesundheitsministerium sagt, etwa zweihunderttausend. Ich denke mehr ... vielleicht eine Million. Vielleicht noch mehr.«
    Dr. Aimslea sah nicht wieder auf und sagte auch nichts mehr. Das tiefe Kichern wurde lauter, und mir wurde klar, daß es überhaupt kein Kichern war, sondern Schluchzen.

Kapitel 5
     
    Wir fuhren zu sechst mit dem Zug durch das Spätnachmittagslicht nach Norden Richtung Sighişoara. Pater O'Rourke war im Waisenhaus von Sibiu geblieben. Fortuna hatte einen Halt in einer Kleinstadt unterwegs vorgesehen. »Mr. Trent, Copşa Mica wird Ihnen gefallen«, sagte er. »Wir besichtigen es nur Ihretwegen.«
    Ich drehte mich nicht zu ihm um, sondern ließ den Blick auf den niedergewalzten Dörfern, durch die wir kamen. »Noch mehr Waisenhäuser?« fragte ich.
    »Nein, nein. Ich meine ja ... es gibt ein Waisenhaus in Copşa Mica, aber dorthin gehen wir nicht. Es ist ein kleines Dorf ... sechstausend Einwohner. Aber es ist der Grund, weshalb Sie in unser Land gekommen sind, ja?«
    Ich drehte mich zu ihm um. »Industrie?«
    Fortuna lachte. »Ah, ja ... Copşa Mica ist sehr industrialisiert. Wie so viele unserer Dörfer. Und dieses ist so nahe bei Sighişoara, wo der Dunkle Ratgeber des Genossen Ceauşescu geboren wurde.«
    »Dunkler Ratgeber«, schnappte ich. »Was wollen Sie damit sagen? Daß Ceauşescus Ratgeber Vlad Ţepeş war?« Der Führer antwortete nicht.
    Sighişoara ist eine vollständig erhaltene mittelalterliche Stadt, wo selbst der Anblick einiger weniger Autos auf den Kopfsteinpflastern ein Anachronismus zu sein scheint. Die Berge rings um Sighişoara sind übersät von verfallenen Türmen und Festungen, die aber ausnahmslos nicht so kinogerecht wirken wie das halbe Dutzend unversehrte Burgen in Transsilvanien, die gegenüber leichtgläubigen Reisenden mit harten Devisen als Draculas Schloß ausgegeben werden. Aber das alte Haus in der Piaţa Muzeului war tatsächlich Vlad Draculas Geburtsstätte und Heimat von 1431 bis 1435 gewesen. Als ich es vor vielen Jahren zum letztenmal gesehen hatte, hatten sich oben ein Restaurant und im Souterrain ein Weinkeller befunden.
    Fortuna streckte sich und machte sich auf die Suche nach etwas zu essen. Dr. Aimslea hatte die Unterhaltung mitgehört und ließ sich neben mir auf den Sitz fallen. »Kann man sich so einen Mann vorstellen?« flüsterte er. »Jetzt erzählt er uns schon Gruselgeschichten von Dracula. Allmächtiger!«
    Ich nickte und betrachtete die Berge und Täler, die in grauer Einförmigkeit vorüberzogen. Hier herrschte eine Wildnis, wie ich sie noch nirgendwo anders auf der Welt gesehen hatte, und ich habe mehr Nationen bereist, als Mitglieder in der UN sind. Die Berghänge, tiefen Schluchten und Bäume wirkten mißgestaltet, knorrig, wie etwas, das sich mühte, aus einem Gemälde von Hieronymus Bosch zu entkommen.
    »Ich wünschte, wir hätten es hier mit Dracula zu tun«, fuhr der gute Doktor fort. »Überlegen Sie doch einmal, Trent ... wenn unsere Abordnung melden würde, daß Vlad der Pfähler lebt und in Transsilvanien Menschen auflauert, nun ... verdammt ... dann würden sich hier zehntausend Reporter drängen. Satellitentrucks auf dem Marktplatz von Sibiu, die InstaCam-Berichte in jede Sendezentrale von Kanal 7 und

Weitere Kostenlose Bücher