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Kinder der Nacht

Kinder der Nacht

Titel: Kinder der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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alle gleich aussahen, aber Kate vermutete, daß sich mindestens hundert Personen in der Kapelle befunden hatten oder auf dem Weg zum Steg warteten.
    »Da ... das ist Radu Fortuna!« flüsterte Lucian und deutete auf einen Mann, der gerade zur Tür der Kapelle herauskam.
    »Ja«, flüsterte O'Rourke.
    Kate bemühte sich, etwas zu erkennen, aber das Fackellicht war trügerisch, die Männer ständig in Bewegung, und sie sah nur ferne Gesichter im Schatten, bevor Lucian sie wieder zurückzog. »Hast du etwas gehört?« flüsterte sie. »Hast du etwas verstanden?«
    »Pssst.« Lucian legte ihr einen Finger auf den Mund. Wachen riefen anderen Wachen etwas auf rumänisch zu. Eine tiefe Stimme bellte Befehle von der Tür der Kapelle.
    Sie haben mich gesehen, war Kates erster panischer Gedanke. Und einen Augenblick später: Sie haben das Boot gefunden. Jetzt kommen wir nie mehr von der Insel weg.
    Taschenlampen wurden eingeschaltet, eine der Wachen im Rosengarten nahm einen Scheinwerfer zur Hand, der weitaus heller als die Taschenlampen war. Kate, Lucian und O'Rourke zuckten ausnahmslos vom Fenster zurück, aber schon nach einem Moment wurde deutlich, daß die Lichtstrahlen in eine andere Richtung zeigten. Kate tastete sich zum Fenster zurück und sah hinaus, als einer der Männer gerade eine kurze Salve aus seiner automatischen Waffe abgab.
    Sie wich erneut zurück, sah aber zuvor noch einen großen braunen Hund im Hain bei den Behausungen des Klosters zwischen den Bäumen laufen. Alle hörten sie ihn heulen und bellen.
    Weitere Rufe in Rumänisch. Verhaltenes Gelächter. Die Taschenlampen wurden eine nach der anderen ausgemacht.
    Es dauerte eine halbe Stunde, bis die Männer zu ihren Booten zurückgewandert, an Bord gegangen und sämtliche Fackeln gelöscht worden waren - die Wachen bliesen die letzten auf dem Weg zum Bootssteg aus und sammelten sie ein -, dann heulten die Motoren der Schnellboote auf, die die Fähren eskortierten. Die Kapelle war wieder dunkel.
    Kate und die beiden Männer saßen fast eine ganze Stunde auf dem schmalen Treppenabsatz, bis wieder jemand etwas sagte oder sich bewegte. Sie stellte sich vor, daß die schwarzgekleideten Wachen immer noch in der Dunkelheit auf der Lauer liegen würden. Als schließlich die Insekten ihr Summen wieder aufnahmen, die Frösche am Ufer ihr Konzert fortsetzten und der braune Hund unten ungehindert an den Mauern der Kapelle schnupperte, nahmen sie ausreichend Mut zusammen, auf Zehenspitzen nach unten zu schleichen, die schwere Tür aufzumachen und durch den Hain zurück nach Osten zu gehen. Die Sterne waren herausgekommen, Kate konnte das Messer in Lucians Hand funkeln sehen.
    »Für den Hund, falls er bellt«, flüsterte der Medizinstudent, aber der Hund setzte ihnen nicht nach, als sie am Rand der alten Innenhöfe entlangschlichen.
    Das Boot lag noch, wo sie es festgezurrt hatten. Die beiden Männer wateten ins Wasser und kippten das Boot, damit das fünfzehn Zentimeter hoch eingelaufene Wasser abfließen konnte. Kate ging als letzte an Bord, löste das Seil und rutschte an Steinen hinab auf den Bug. Lucian stieß mit einem Ruder ab und ruderte langsam unter den Bäumen hervor.
    Der weite See machte einen verlassenen Eindruck. Das große Anwesen am südwestlichen Ufer war dunkel. Sie sprachen kein Wort, während Lucian sie über den See in die Lagune ruderte. Sie schwiegen auch, als sie das Ruderboot zu dritt zu den anderen Booten zurücktrugen, umdrehten und lautlos auf den Stapel legten. In dem Schuppen des Bootshauses war immer noch kein Laut zu hören, kein Licht zu sehen.
    Der Dacia sah unberührt aus, aber Lucian ließ sie im Dunkel unter den Bäumen warten, während er hinausschlich, sich dem Auto vorsichtig näherte und das Innere überprüfte. Die beiden gesellten sich zu ihm, und der alte Motor sprang ohne weiteres an.
    Lucian fuhr, ohne die Scheinwerfer einzuschalten, von dem alten Parkplatz, suchte den Weg im Licht der Sterne und machte die Lichter erst an, als sie das schlafende Dorf Şnagov hinter sich gelassen hatten.
    »Ich habe Joshua nicht gesehen«, sagte Kate, deren Stimme selbst in ihren Ohren seltsam gepreßt klang. »Ich habe überhaupt keine Kinder gesehen.«
    »Nein«, sagte O'Rourke. Der Priester hatte auf dem Beifahrersitz Platz genommen. Kate fuhr hinten.
    »Hast du etwas verstanden, was gesagt wurde?« fragte sie Lucian.
    Er fuhr noch eine Minute schweigend weiter. »Ich glaube, ich habe jemanden sagen hören, daß es die erste Nacht war

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