Kinder der Nacht
hellwach, lief zur Tür und sperrte sie mit ungeschickten Fingern auf. Der Strahl von Lucians Taschenlampe schien ihr ins Gesicht, sie winkte ihn fort und sah den beiden Männern in die fassungslosen Gesichter, während sie mit ihrer Erklärung begann.
»Ich habe die ganze Zeit gedacht, daß ich eben so sehr aus medizinischen wie aus persönlichen Gründen hinter Joshua her bin. Versteht Ihr das? Wir hatten den Retrovirus im CDC extrahiert und geklont ... das hatte ich gesagt ... Chandra war dabei, den Mechanismus zu begreifen, glaube ich, aber wichtiger ist, ihr Team hat die Wirkung des Virus auf kultivierte Proben untersucht ... Krebs, HIV ...«
»Neuman«, sagte O'Rourke, »können wir uns darüber nicht später unterhalten?«
»Nein!« sagte Kate. »Hören Sie, es ist wichtig - ich meine, der Retrovirus verfügt über unglaubliche immunologische und onkologische Möglichkeiten. Aber ich war so darauf fixiert, Joshua zu finden ... um eine Probe von Joshuas Blut zurückzubekommen ...«
Lucian nickte. »Ich verstehe. Ihnen ist klar geworden, daß jeder Strigoi genügen würde. Die Männer, die wir heute nacht gesehen haben ...«
»Nein!« Kate senkte die Stimme. »Der Leichnam ... dieses Ding, das Sie im Tank in der Medizinischen Fakultät haben. Sein Blut enthält den reinen J-Virus. Ich war so dumm ... so besessen von Joshua ...«
Lucian sah sie an und rieb sich die Augen. »Ich hatte keine Ahnung, daß sie den Strigoi- Virus zur Immunrekonstruktion verwenden können.« Er stand nackt auf und zog die Jeans an.
Kate legte ihm die Hände auf die Schultern und drückte ihn auf das Bett zurück, wobei sie nebenbei zur Kenntnis nahm, daß sein Körper muskulös war, wie es ihr bei Männern gefiel, die Physis eines Schwimmers oder Läufers. »Später, im Lauf des Tages«, sagte sie, »holen wir uns reichlich Proben, analysieren sie, ob eine Kontamination vorliegt, und schaffen sie dann nach Boulder ins CDC. Ich lege Anweisungen bei, damit Ken genau weiß, was er mit dem neuen Team machen muß.«
»Wie ...«, begann der Priester.
»Ihre Aufgabe wird es sein, die Probe und meine Nachricht zur amerikanischen Botschaft zu bringen«, sagte sie. »Möglicherweise durch einen Ihrer Franziskanerkumpels in Kutte. Ich bin sicher, die Strigoi warten nur darauf, daß wir uns in der Botschaft sehen lassen.«
»Ja«, sagte Lucian. »Das steht fest.«
»Aber wir müssen die Probe nur hinein bringen«, fuhr Kate fort. Sie deutete auf O'Rourke. »Sie erwähnen den Namen von Senator Harlen in einem Begleitschreiben, oder vollbringen jeden politischen Zauber, den Sie können, und heute nacht wird die Probe in einem Diplomatenkoffer unterwegs in die Vereinigten Staaten sein.«
Der Priester nickte. »Das könnte funktionieren.«
»Es wird funktionieren«, sagte Kate. Sie war so müde, daß sie gegen den Türrahmen sank. »Ich brauche Joshuas Blut überhaupt nicht.«
»Aber das ändert nichts daran, daß Sie ihn suchen werden, Kate, oder?« sagte O'Rourke.
Sie sah ihn blinzelnd an. »Nein, überhaupt nichts.«
O'Rourke zog seine Decke hoch. »Dann können wir auch noch ein paar Stunden schlafen, bevor wir AIDS und Krebs heilen. Es scheint wieder ein langer Tag zu werden.«
Kapitel 28
Alles stand in Flammen.
Lucian parkte den Dacia einen halben Block von der Medizinischen Fakultät entfernt; dort beobachteten er und Kate, wie die vorsintflutlichen Feuerwehrautos über den Bordstein fuhren oder die Straße absperrten, während Feuerwehrmänner mit Schläuchen zu einem einzigen Hydranten liefen und einander durch den Zaun um das Universitätsgelände zuriefen. Dicke Rauchsäulen stiegen in der kalten Morgenluft auf. Kate konnte Flammen in den zertrümmerten Fenstern der Medizinischen Fakultät sehen, und das orangerote Leuchten spiegelte den reflektierten Sonnenaufgang auf den Betongebäuden der westlichen Straßenseite wider.
»Bleiben Sie hier«, sagte Lucian und ging zur Barrikade der Feuerwehrautos und Polizeifahrzeuge. Trotz der frühen Morgenstunde hatte sich bereits eine kleinere Menschenmenge eingefunden.
Kate stieg aus dem Dacia aus und lehnte sich niedergeschlagen an die Autotür. Sie war nach nur zwei Stunden Schlaf aufgewacht und hatte Lucian schlafend im Nebenzimmer vorgefunden. O'Rourke war weg. Er hatte keine Nachricht hinterlassen. Sie und Lucian frühstückten gemeinsam, warteten noch zwanzig Minuten auf den Priester und legten ihm dann einen Zettel hin, auf dem nur stand: Sind die Proben holen
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