Kinder der Nacht
... gut für die erste Nacht, glaube ich.«
»Die erste Nacht wovon?« Kate drückte die Wange an das kalte Fenster rechts von ihr, damit sie wach blieb.
»Die Zeremonie der Weihe«, sagte Lucian. »Ich hätte mir denken können, daß das Kloster Şnagov der Ort der Zeremonie der ersten Nacht sein würde.«
»Weil es für die Strigoi wichtig ist?« sagte O'Rourke.
Lucian biß sich auf die Lippen. Im fahlen Licht des Armaturenbretts wirkte sein Gesicht sehr blaß. »Es war eine der Festungen von Vlad Ţepeş. Der Legende zufolge wurde er dort begraben.«
»Du hast gesagt, das Grab war leer«, sagte Kate.
»Ja. Aber sie fanden einen geköpften Leichnam in einer anderen Gruft in der Kapelle, gleich neben der Tür statt unmittelbar beim Altar, wo man das Grab eines Mannes von königlichem Geblüt erwarten sollte.« Er bremste vor der Abfahrt zur Hauptstraße und bog links in Richtung Bukarest ab. »Archäologen denken, daß es ein kleiner Scherz der Mönche gewesen ist ... seinen Leichnam zu verlegen.«
O'Rourke kratzte sich den Bart. »Oder eine absichtliche Tat. Vielleicht betrachteten sie es als ein Sakrileg, daß er so nahe beim Altar begraben werden sollte.«
Lucian nickte. » Wenn es Vlad Dracula war. Der Orden geht davon aus, daß der Fürst einen seiner Diener köpfen und im königlichen Gewand bestatten ließ - sogar mit einem der Ringe des Drachen angetan -, um seine Feinde in die Irre zu führen.«
Kate war dicht davor, die Beherrschung zu verlieren. »Es spielt doch wohl keine Rolle, wer dort vor fünfhundert Jahren begraben wurde, oder? Wichtig ist nur, was sie heute nacht hier gemacht haben ... und was es mit Joshua zu tun hat.«
Sie fuhren am Flughafen Otopeni vorbei und sahen vor sich die Lichter von Bukarest. Wolken zogen wieder auf. Auf der Autobahn waren nur Lastwagen unterwegs. » Wenn es sich um die Zeremonie der Weihe handelt«, sagte Lucian, als würde er laut denken, »und wenn Joshua der Auserwählte ist, dann werden die Strigoi noch mehrere Nächte Zeremonien abhalten, bevor er das Sakrament des Menschenbluts erhält.« Er rieb sich die Wange. »So jedenfalls behauptet es die Legende.«
Kates Stimme klang hart. »Und wissen deine Legenden auch, wo die Zeremonie stattfinden wird? Wieder auf Şnagov?«
»Nein«, sagte Lucian. »Ich glaube nicht, daß noch einmal etwas in diesem Kloster stattfinden wird. Möglicherweise an Orten, die wichtig für die Familie der Strigoi sind ... die eine bedeutende Rolle in der Legende von Vlad Ţepeş spielen. Ich weiß es nicht.«
Kate legte sich auf die staubigen Schonbezüge zurück. »Das ist Wahnsinn.« Sie schlug mit den Fäusten gegen die Tür. »Mein Baby wurde entführt, und ich treibe mich hier herum und spiele Indiana Jones.«
Lucian gab ein Geräusch von sich. »Es war nicht so interessant wie bei Indiana Jones«, sagte er. »Ich konnte nichts deutlich erkennen. Falls ein Menschenopfer stattfand, habe ich es verpaßt.« Er merkte, was er gesagt hatte, und biß sich auf die Lippen.
Niemand hielt sie an, als sie auf Nebenstraßen zu ihrem leerstehenden Mietshaus und der Kellerwohnung fuhren. Lucian parkte einen Block von dem Haus entfernt in einer Gasse, dann schlichen sie mehr erschöpft als vorsichtig zurück. Niemand wartete in Dunkelheit und Kälte auf sie.
»Was jetzt?« fragte O'Rourke. »Sollen wir Radu Fortunas Villa bei Tage wieder überwachen?« Er sah auf die Uhr. »Es ist schon fast Tag.«
Lucian schien auf die Polster des Sofas zu sinken. »Ich weiß nicht. Ich kann nicht mehr klar denken.«
»Bleib heute nacht hier«, sagte Kate. »Ich finde, wir sollten zusammenbleiben. Auf dem kleinen Bett da drinnen liegen zwei Matratzen. Wir tragen eine für dich heraus.« Lucian konnte nur nicken.
»Schlafen wir«, sagte sie. »Wir sind alle blind vor Erschöpfung. Unterhalten wir uns später über alles.« Sie stellte fest, daß sie Einsamkeit so dringend brauchte wie Schlaf, daß die Vorstellung, allein zu sein - und sei es in dem eiskalten, klammen Kellerraum -, fast ein körperliches Bedürfnis bildete.
Sie schleiften Lucians Matratze hinaus, es folgte eine kurze häusliche Episode, als sie ihm eine Decke suchten, und dann war Kate allein, die Tür geschlossen. Sie zog die schmutzige Kleidung aus, holte einen Flanellpyjama aus einer Reisetasche und kroch unter die Decke. Sie schlotterte mehr von den Nachwirkungen der Nacht als wegen der Kälte, aber der Schlaf überfiel sie dennoch wie eine Ohnmacht.
Plötzlich war sie
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