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Kinder der Nacht

Kinder der Nacht

Titel: Kinder der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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wurde, den Kate mit den primitiven Mitteln, die ihr hier zur Verfügung standen, nicht isolieren oder diagnostizieren konnte.
    »Es handelt sich nicht um AIDS«, sagte sie. »Nicht einfach nur Anämie oder Hepatitis oder eine andere blutbedingte Immunstörung, die ich kenne - nicht einmal eine von den seltenen. Ich bin sicher, in den Staaten könnte ich es mit der Ausrüstung und den Leuten, die mir im CDC in Boulder zur Verfügung stehen, isolieren, finden und beheben. Aber das Kind hat keine Familie, und das Land würde den Transfer in die Staaten nie bezahlen oder auch nur ein Visum ausstellen, wenn ich die Kosten übernehmen würde.« Sie rieb sich grob die Wangen.« Er ist sieben Monate alt, er ist auf mich angewiesen, und er stirbt ... und ich kann nicht das geringste dagegen tun.« Sie mußte erstaunt feststellen, daß ihre Wangen tränenfeucht waren. Sie wandte das Gesicht noch mehr von dem Priester ab.
    »Warum adoptieren Sie ihn nicht?« fragte O'Rourke leise.
    Sie drehte sich um und sah ihn erschrocken an. Er sah sie an, sagte aber nichts mehr. Sie auch nicht. Schweigend fuhren sie weiter zum dunklen Bukarest.

Kapitel 10
     
    Die Rumänen nannten ihre unbekannten und unidentifizierten männlichen Patienten nicht ›John Doe‹. Der ausgesetzte sieben Monate alte Junge in der Isolierstation des Krankenhauses Bezirk Eins wurde - in den Unterlagen, die Lucian für Kate übersetzt hatte - als unidentifizierter männlicher Patient Nr. 2613 bezeichnet. Die meisten Kinder hatten Anmerkungen in den Akten, in denen stand, wer ihre Eltern gewesen waren oder wer sie in Kranken- oder Waisenhäusern abgegeben hatte, oder zumindest wo man sie gefunden hatte, aber die Akte des unidentifizierten männlichen Patienten Nr. 2613 enthielt diese Informationen nicht.
    Kate hatte diese Unterlagen in der Nacht zuvor durchgearbeitet, nachdem sie mit Pater O'Rourke aus Piteşti zurückgekommen war. Sie hatte ihm für die Fahrt gedankt, als sie nach Mitternacht vor ihrer Wohnung aus dem Dacia ausgestiegen war.
    Sonst hatten sie nicht mehr über seinen Vorschlag gesprochen - wenn es denn überhaupt ein Vorschlag gewesen war. Kate fragte sich immer noch, ob der Priester möglicherweise einen Scherz gemacht hatte.
    Aber sie hatte ihre Unterlagen durchgesehen, bevor sie auf das Bett gefallen war.
    Der unidentifizierte männliche Patient Nr. 2613 war ins Bukarester Krankenhaus Distrikt Eins eingeliefert worden, nachdem es den Ärzten in einer Kinderklinik in Tîrgovişte nicht gelungen war, den offenbar lebensgefährlichen Zustand des Jungen zu diagnostizieren. Die Symptome beinhalteten Gewichtsverlust, Apathie, Erbrechen, Verweigerung der Nahrungsaufnahme und eine Störung des Immunsystems, die jeden Grippe- oder Erkältungsvirus zu einer potentiell tödlichen Bedrohung für den Jungen machte. Bluttests ergaben keine Hepatitis oder andere Leberfehlfunktion, keine Anämie, aber die Zahl der weißen Blutkörperchen war bei weitem zu gering. Bluttransfusionen hatten, als das Kind fünf Monate alt war, eine scheinbar wundersame Besserung gebracht - fast zwei Monate lang hatte der Junge von der Flasche gelebt und zugenommen, und seine Reaktion auf einen Test hatte eine positive Reaktion des Immunsystems ergeben -, aber dann setzte das Immunproblem wieder ein, und der Zyklus begann von vorn. Neuere Transfusionen brachten immer kürzere Phasen der Besserung. Das Krankenhaus in Tîrgovişte hatte das Kind vor fünf Wochen nach Bukarest überwiesen, und Kate Neuman hatte fast die ganze Zeit nur darum gekämpft, es am Leben zu halten.
    Jetzt betrat sie die Isolierstation. Die dicke Schwester mit der Hasenscharte stand neben dem Bett des Kindes und fütterte es; oder besser gesagt, sie rauchte eine Zigarette und sah in die andere Richtung, während sie ein Fläschchen durch die Gitter des Bettes hielt und dem Baby den Schnuller an die Wange drückte. Es weinte kläglich und schenkte der Flasche keinerlei Beachtung.
    »Hinaus«, sagte Kate. Sie wiederholte es auf rumänisch. Die Schwester steckte das Fläschchen in die schmutzige Tasche ihres Kittels, bedachte Kate mit einem gehässigen Lächeln, schnippte die Asche von der Zigarette und watschelte hinaus.
    Kate nahm das Baby aus dem Bett und sah sich nach der Wiege um, die sie für diesen Raum angefordert hatte. Sie war schon wieder verschwunden. Kate setzte sich auf die kalte Heizung unter dem Fenster, nahm das Baby in die Arme und wiegte es sanft. Ich werde sofort die intravenöse Ernährung

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