Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kinder der Nacht

Kinder der Nacht

Titel: Kinder der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
schmucklosen Betongebäude ragten vor dem flackernden orangeroten Leuchten auf, das sich auf den tiefhängenden Wolken spiegelte. Kate und O'Rourke hatten die Fenster des Dacia hochgekurbelt, aber dennoch gelangten ätzende Abgase der Raffinerien in das Wageninnere, kratzten sie im Hals und brachten ihre Augen zum Tränen. Kate mußte wieder an die Hölle denken.
    Der Mercedes fuhr in eine noch schmalere Gasse und hielt an. O'Rourke fuhr mit dem Dacia unmittelbar nach einer Kreuzung an den Straßenrand.
    »Was jetzt?« fragte Kate.
    »Sie können hierbleiben oder mich in das Haus begleiten«, sagte O'Rourke.
    Kate stieg aus dem Auto aus und folgte ihm um die Ecke, über die Straße und zur Fassade der Mietskaserne. Aus den dunklen oberen Stockwerken konnte man vereinzelte Radios und Fernseher hören. Hier war die Frühlingsluft kalt, trotz des höllischen Loderns über ihnen. Der Fahrstuhl im Innern funktionierte nicht; sie hörten Schritte auf der Treppe über sich hallen. Der Priester winkte ihr, sie solle sich beeilen, worauf Kate ihm halb laufend die Treppe hinauf folgte. Sie konnten das schwere Schlurfen von vier Menschen über sich hören, aber O'Rourkes Schritte waren fast lautlos. Sie stellte fest, daß er seine Reeboks angelassen hatte und lächelte verhalten, obwohl sie allmählich vor Anstrengung schnaufte.
    Im sechsten Stock - der in Amerika der siebte gewesen wäre - blieben sie stehen. O'Rourke machte die Tür des Treppenhauses auf, worauf sie augenblicklich von alten Kochgerüchen eingehüllt wurden, die fast so widerwärtig wie der Gestank von Chemikalien draußen waren. Stimmen hallten in dem schmalen Flur.
    O'Rourke hielt eine Hand hoch und bedeutete ihr, sich im Dunkeln bei der Treppe zu halten, dann schlich er lautlos den Flur entlang. Kate fand, daß ›Mutant-Hero-Priesteranzug‹ ein durchaus zutreffender Ausdruck war; der große Mann verschmolz mit den Schatten zwischen den düsteren Lichtern.
    Trotz seiner Anweisung, sie solle zurückbleiben - oder vielleicht gerade deswegen -, folgte Kate ihm den Flur entlang, wobei sie sich an der Wand hielt, wo es am dunkelsten war. Sie hatte eine Vorahnung, was für eine Szene sie sehen würde, wenn die Wohnungstür aufgerissen wurde, und sie wurde nicht enttäuscht.
    Zwei Rumänen in Lederjacken standen neben dem amerikanischen Paar, übersetzten und zankten mit dem Mann und der Frau, die in der Wohnung hausten. Drei kleine Kinder klammerten sich an den Beinen ihrer Mutter fest, durch die offene Schlafzimmertür drang das Schreien eines Babys. Die Wohnung war klein, vollgestopft und schmutzig, Töpfe und Pfannen standen auf dem fadenscheinigen Teppich, als hätten Kleinkinder bis vor kurzem damit auf dem Boden gespielt. Der durchdringende Geruch von angebranntem Essen und schmutzigen Windeln hing in der Luft.
    Kate sah wieder um den Türrahmen herum. O'Rourke stand tatsächlich bereits in den Schatten innerhalb der Wohnung, aber die zankenden Erwachsenen in dem erleuchteten Zimmer hatten ihn noch nicht bemerkt. Bei den beiden Rumänen, die die Amerikaner hergebracht hatten, handelte es sich um die üblichen Mafioso- und Geldwechslertypen: fettige Haare, einer mit einem Banditenschnurrbart, der andere mit Dreitagesstoppeln, beide trugen Designerjeans und Seidenhemden unter den Lederjacken, beide hatten dieselbe dreiste, einschüchternde Art an sich, die Kate auf drei Kontinenten gesehen hatte.
    Das rumänische Paar, um dessen Wohnung es sich handelte, war kleiner, blasser, die Frau hohläugig und mit hektischen Blicken, der Ehemann geschwätzig, sein gelegentliches Lächeln sah mehr wie eine Gesichtszuckung aus. Dazwischen stand das amerikanische Pärchen - jung, blond, rosa Wangen und Freizeitkleidung von Land's End - und schien überwältigt. Die Amerikanerin duckte sich andauernd und umarmte die Kinder, die allesamt nicht besonders sauber waren, oder lächelte ihnen zu, aber die Kinder versteckten sich immer wieder hinter ihren Eltern oder stahlen sich in das dunkle Schlafzimmer davon.
    »Wieviel für das hier?« fragte der Amerikaner und zauste dem Drei- oder Vierjährigen, der sich am Rock seiner Mutter festklammerte, das Haar. Der Junge wich hastig zurück. Der größere der beiden rumänischen Führer bellte eine Frage und unterbrach den Vater dann mitten in seiner Tirade.
    »Er sagt einhunderttausend Lei und einen Turbo«, sagte der große Führer grinsend.
    »Einen Turbo?« sagte die amerikanische Frau, die hektisch

Weitere Kostenlose Bücher