Kinder der Nacht
Treppe hinab.
Kate folgte O'Rourke zu der Bank, wo der dunkelhäutige Mann wartete. Obwohl sich ihre Augen an das Kerzenlicht in der Kirche anpaßten, war es hier oben sehr dunkel.
»Dobroy, Doktor New- man?« sagte der Mann mit einer Stimme zu O'Rourke, die so scharf wie sein Gesicht war. Seine Zähne funkelten seltsam. Er sah Kate an. »Oh ... rerk?«
»Ich bin Doktor Neuman«, sagte Kate. Das Echo von Bachs Musik vibrierte immer noch durch die Schichten der Erschöpfung hindurch in ihren Knochen. Sie mußte sich auf die Wirklichkeit konzentrieren. »Sind Sie Nikolo Cioaba?«
Der Zigeuner lächelte, und Kate stellte fest, daß sämtliche sichtbaren Zähne des Mannes Goldkronen hatten. »Voivoda Cioaba«, sagte er rauh.
Kate sah O'Rourke an. Voivoda. Dasselbe Wort, das unter dem Porträt Vlad Ţepeşs in Wien gestanden hatte.
»Beszel Romany?« fragte Voivoda Cioaba. »Magyarul?«
»Nem«, antwortete O'Rourke. »Sajnalom. Kerem ... beszel angolul?«
Die Goldzähne funkelten. »Ja ... ja, ich sprechen Englisch ... Dobroy. Villkommen.« Bei Voivoda Cioabas Dialekt mußte Kate an einen alten Film mit Bela Lugosi denken.
»Voivoda Cioaba«, sagte Kate, »hat Pater Janos Ihnen erklärt, was wir wollen?«
Der Zigeuner sah sie einen Moment stirnrunzelnd an, dann funkelten die Goldzähne. »Vollen? Igen! Ja ... Sie vollen nach Rumänien gehen. Sie kommen von Egyesult Allamokba ... Vereinigte Staaten ... und Sie gehen nach Rumänien. Nem?«.
»Ja«, sagte Kate. »Morgen.«
Voivoda Cioaba runzelte heftig die Stirn. »Moachen?«
»Hetfo«, sagte O'Rourke. »Morgen. Montagnacht.«
»Ahhh ... hetfo ... ja, vir überqueren moachen nacht ... Montag. Alles ist ... vie sagt man? ... vereinbart.« Der Zigeuner bewegte die Finger vor dem Gesicht. »Sajnalom ... mein Sohn, Balan ... er spricht Englisch sehr gut, aber er ... Geschäfte. Ja?«
Kate nickte. »Und auf wieviel haben wir uns geeinigt?«
Der Woiwode Cioaba sah sie blinzelnd an. »Kerem?«
»Mennyibe kerul?« sagte O'Rourke. Er rieb Daumen und Zeigefinger aneinander. »Penz?«
Der Zigeuner breitete die Arme aus, als wollte er etwas aus der Luft wegwischen. Er hielt einen Finger hoch und deutete auf Kate. »Ezer ... du.« Er deutete auf O'Rourke. »Ezer ... du.«
»Eintausend für jeden«, sagte O'Rourke.
»US-amerikanische Dollar, bar«, sagte der Woiwode Cioaba, der jede Silbe sorgfältig betonte.
Kate nickte. Das hatte Pater Janos O'Rourke schon mitgeteilt gehabt.
»Jetzt«, fügte der Zigeuner hinzu. Seine Zähne funkelten.
Kate schüttelte langsam den Kopf, »Zweihundert für jeden von uns jetzt«, sagte sie. »Den Rest, wenn wir unsere Freunde in Rumänien treffen.«
Die Augen des Woiwoden Cioaba blitzten.
»Ketszaz ejszakat ... ah ... heute nacht«, sagte O'Rourke. » Nyolczaz on erkezes. Okay?«
Kate hielt ihm einen Umschlag mit vierhundert Dollar hin, der Woiwode Cioaba ergriff ihn mit flinken Fingern und ließ ihn in einer Tasche seines Lammfellmantels verschwinden, ohne auch nur einen Blick darauf zu werfen, dann war wieder das Funkeln von Gold zu sehen. »Okay.« Er brachte eine Karte zum Vorschein, die er auf der Bank ausbreitete.
Kate und O'Rourke beugten sich näher hin. Der plumpe Finger des Zigeuners deutete auf Budapest und fuhr dann einer Eisenbahnlinie südöstlich durch das Land nach.
Die Stimme des Woiwoden Cioaba nahm den hypnotischen Singsang einer Litanei an, während er die Namen von Stationen unterwegs herunterleierte. Kate schloß die Augen und ließ die Litanei in der weihrauchschwangeren Dunkelheit der Kathedrale über sich ergehen.
»Budapest ... Újszàsz ... Szalnăk ... Gyoma-endröd Békéscosaba ... Lokosháza ...«
Kate spürte die Vibration im Bein, als der Finger des Zigeuners fest auf die Karte klopfte. »Lokosháza.«
Kapitel 23
Kate kannte den Orient-Expreß aus dem Buch von Agatha Christie und aus zahllosen Filmen: Plüschwaggons, elegante Speisewagen, überall luxuriöse Ausstattung und vornehme, aber geheimnisvolle Fahrgäste.
Dies war der Orient-Expreß, aber nicht der Orient-Expreß. Sie und O'Rourke trafen vor sieben Uhr - der Abfahrtszeit - auf dem Bahnhof Keleti von Budapest ein. Dort herrschten wilde Geschäftigkeit und Stimmengewirr; davor ein riesiger, offener Schuppen aus Stahl und Glas, der Kate an Stiche von Bahnhöfen aus dem vorigen Jahrhundert erinnerte. Den Bahnhof am anderen Ende dieser Reise - Gara de Nord in Bukarest - kannte sie schon, weil sie und andere Angestellte der
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