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Kinder der Stürme

Kinder der Stürme

Titel: Kinder der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
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und lächelte ihn an. Irgendwie gefiel ihr der Kontrast. Sie warf den Kopf in den Nacken und atmete tief durch. „Ja, ich kann das Meer schon riechen!“
    „Du konntest es schon auf meiner Türschwelle riechen – überall auf Thayos kann man das Meer riechen“, sagte Evan.
    „Der Geruch des Waldes überlagert den Geruch des Meeres.“ Je mehr sich der Wald lichtete, desto froher wurde Maris. Ihr ganzes Leben hatte sie am oder über dem Meer verbracht. Jeden Morgen, wenn sie in Evans Haus erwachte, hatte sie es vermißt, so wie sie das Schlagen der Wellen und den scharfen Salzgeruch vermißt hatte. Aber am meisten hatte sie den Anblick der unermeßlichen Weite unter dem ebenso unendlichen und turbulenten Himmel vermißt.
    Die Baumgrenze endete abrupt. Die felsigen Klippen begannen. Maris rannte los. Am Rand der Klippe hielt sie an, atmete schwer und betrachtete die See und den Himmel.
    Der Himmel war indigoblau, mit schnell treibenden grauen Wolken. In dieser Höhe war der Wind relativ mild, aber anhand einiger Aasdrachen, die ihre Kreise weiter oben zogen, konnte Maris sehen, daß gutes Flugwetter war. Vielleicht kein Tag für eilige Botschaften, aber ein guter Tag für Spielereien, fürs Tauchen und Lachen in der kühlen Luft.
    Sie hörte Evan näher kommen. „Du willst doch wohl nicht abstreiten, daß das wundervoll ist“, sagte sie, ohne sich umzudrehen. Sie machte einen Schritt weiter auf den Klippenrand zu und sah hinab. Unter ihr versank die Welt.
    Sie rang nach Luft und ruderte mit den Armen um festen Halt, aber sie fiel, fiel, fiel – selbst Evans Arme, die er fest um sie gelegt hatte, konnten ihr kein Gefühl der Sicherheit geben.
    Den ganzen nächsten Tag stürmte es. Maris verbrachte den Tag im Haus. Sie litt unter Depressionen und dachte darüber nach, was auf der Klippe geschehen war. Sie trainierte nicht. Sie aß lustlos und mußte sich zwingen, die Flügel auszubreiten. Evan beobachtete sie besorgt, ohne ein Wort zu sagen.
    Auch am nächsten Tag hielt der Regen an, aber das Schlimmste des Sturms war vorüber, und die Niederschläge wurden milder.
    Evan kündigte an, daß er ausgehen wollte. „Ich muß etwas in Port Thayos besorgen“, sagte er, „einige Kräuter, die hier nicht wachsen. Letzte Woche ist ein Händler angekommen. Vielleicht kann ich meine Vorräte bei ihm aufstocken.“
    „Vielleicht“, sagte Maris mürrisch. Sie war müde, obwohl sie an diesem Morgen nichts getan hatte, außer zu frühstücken. Sie fühlte sich alt.
    „Hast du nicht Lust mitzukommen? Du hast Port Thayos noch nicht gesehen.“
    „Nein“, sagte Maris. „Dazu habe ich im Moment keine Lust. Ich werde den Tag hier verbringen.“
    Evan zog die Stirn in Falten, aber er ergriff trotzdem seinen schweren Regenmantel. „Nun gut“, sagte er. „Vor Einbruch der Dunkelheit bin ich zurück.“
    Aber es war schon lange dunkel, als der Heiler endlich zurückkehrte. Er trug einen Korb mit Kräutern in Flaschen. Es hatte aufgehört zu regnen. Als die Sonne unterging, hatte Maris sich Sorgen um ihn gemacht. „Du kommst spät“, sagte sie, als er eintrat und den Regen von seinem Mantel schüttelte.
    „Bist du in Ordnung?“
    Er lächelte. Maris hatte ihn noch nie so fröhlich gesehen. „Neuigkeiten, gute Neuigkeiten“, sagte er. „Der Hafen ist voll davon. Es wird keinen Krieg geben. Die Landmänner von Thayos und Thrane haben sich zu einem persönlichen Treffen auf dem strittigen Felsen bereiterklärt. Dort wollen sie einen Kompromiß bezüglich der Schürfrechte ausarbeiten.“
    „Kein Krieg“, sagte Maris ein wenig matt. „Gut, gut. Aber irgendwie seltsam. Wie kam es dazu?“
    Evan entzündete ein Feuer und setzte Tee auf. „Oh, es war mehr oder weniger Zufall“, sagte er. „Tya kehrte von einer weiteren Mission ohne eine Antwort zurück. Unser Landmann wurde von allen Seiten zurückgewiesen. Ohne Verbündete konnte er sein Schürfrecht nicht durchsetzen. Er ist deswegen sehr wütend, wurde mir gesagt, aber was sollte er tun? Nichts. Aus diesem Grund hat er Jem nach Thrane geschickt, um ein Treffen zu vereinbaren, bei dem verhandelt werden sollte. Etwas ist besser als nichts. Ich hätte gedacht, daß er auf Cheslin oder Thrynel Unterstützung findet, vor allem wenn er ihnen einen genügend großen Eisenanteil bietet. Außerdem gibt es zwischen Thrane und Arrens sicherlich keine freundschaftlichen Gefühle.“ Evan lachte. „Aber was spielt das für eine Rolle? Der Krieg ist vorbei. Port Thayos taumelt vor

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