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Kinder der Stürme

Kinder der Stürme

Titel: Kinder der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
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wenn du zu plötzlich aufstehst oder dich bewegst?“
    „Ich bin noch etwas schwach und muß vorsichtig sein. Das ist alles“, verteidigte sich Maris. „Alle meine Glieder sind untersucht worden.“
    „Ja, ja. Um deine Beine und deinen Arm brauchen wir uns keine Sorgen zu machen. Aber etwas stimmt nicht mit dir. Etwas, das man weder einrenken noch schienen oder heilen kann. Es muß passiert sein, als du mit dem Kopf auf den Felsen geschlagen bist. Dein Gehirn hat dabei Schaden genommen. Dein Gleichgewichtssinn, deine räumliche Wahrnehmung und dein Sehvermögen sind beeinträchtigt worden. Ich kann es nicht genau sagen. Ich weiß so wenig – niemand weiß viel …“
    „Mit mir ist alles in Ordnung“, sagte Maris bestimmt. „Zuerst war ich schwach und mir war schwindelig, aber mir geht es ständig besser. Ich kann wieder gehen – das mußt du zugeben –, und ich werde wieder fliegen können.“
    „Du lernst, dich anzupassen und Kompromisse zu schließen, das ist alles“, sagte Evan. „Aber dein Gleichgewichtssinn wurde beschädigt. Wahrscheinlich wirst du lernen, dich auf dem Boden zu bewegen, aber in der Luft … Du hast diese Fähigkeit, die du in der Luft brauchst, wahrscheinlich verloren. Ohne diesen Sinn wirst du nicht fliegen können. Zu viel hängt von ihm ab …“
    „Was weißt du schon vom Fliegen? Wie kannst du mir sagen, was ich dazu brauche?“ Ihre Stimme war hart und kalt wie Eis.
    „Maris“, flüsterte S’Rella und versuchte ihre Hand zu nehmen, aber Maris zog sie sofort weg.
    „Ich glaube dir nicht“, sagte Maris. „Ich werde wieder völlig in Ordnung kommen. Ich werde wieder fliegen. Ich bin nur ein bißchen krank, das ist alles. Warum rechnest du mit dem Schlimmsten? Warum sollte ich das tun?“
    Evan saß da, ohne ein Wort zu sagen und dachte nach. Dann stand er auf und ging in die Ecke neben der Tür, wo das Feuerholz aufbewahrt wurde. Etwas abseits von den Holzscheiten und dem Anbrennholz lagen einige lange dünne Bretter, altes Bauholz, aus dem Evan die Schienen schnitt. Er wählte eines von zwei Metern Länge, zwanzig Zentimetern Breite und fünf Zentimetern Dicke aus und legte es auf den Küchenboden.
    Er richtete sich auf und blickte Maris an. „Kannst du darauf laufen?“
    Voll spöttischer Überraschung zog Maris die Augenbrauen hoch. Absurd. Ihr Magen war völlig angespannt. Natürlich konnte sie das. Sie konnte sich nicht vorstellen, diesen Test nicht zu bestehen.
    Sie erhob sich langsam von dem Stuhl und hielt sich mit der Hand an der Tischkante fest. Vorsichtig, aber nicht zu langsam ging sie zu Evan hinüber. Der Boden kippte weder, noch wackelte er unter ihren Füßen wie am ersten Tag. Absurd, daß etwas mit ihrem Gleichgewichtssinn nicht stimmen sollte. Auf ebener Erde würde sie nicht fallen, und sie würde auch nicht aus einer Höhe von fünf Zentimetern abstürzen.
    „Soll ich auf einem Bein hüpfen?“ fragte sie Evan.
    „Geh einfach ganz normal.“
    Maris stieg auf den Balken. Er war nicht so breit, daß sie beide Füße nebeneinander aufsetzen konnte, deshalb mußte sie, ohne zu überlegen, gleich zwei Schritte machen. Dabei dachte sie an die hohen Klippenränder, auf denen sie als Kind balanciert war. Die waren viel schmaler gewesen.
    Der Balken wackelte unter ihren Füßen. Maris konnte sich nicht beherrschen. Sie schrie laut auf, während sie zur Seite fiel. Evan fing sie auf.
    „Du hast gegen das Brett gestoßen“, sagte sie voller Wut. Aber die Worte erschienen ihr selbst trotzig und kindisch. Evan sah sie an, ohne etwas zu sagen. Maris versuchte sich zu beruhigen. „Es tut mir leid“, sagte sie. „Ich habe es nicht so gemeint. Laß es mich noch einmal versuchen.“
    Ohne ein Wort zu sagen, ließ er sie gewähren. Voller Spannung stieg Maris auf den Balken und machte drei Schritte. Sie begann zu wackeln. Mit einem Fuß berührte sie den Boden. Sie fluchte und machte einen weiteren Schritt. Dann fühlte sie das Brett schwanken. Es gelang ihr wieder nicht. Sie hob den Fuß und setzte ihn wieder auf das Brett. Ein Schritt vorwärts. Sie kippte zur Seite und fiel hin.
    Diesmal fing Evan sie nicht auf. Sie fiel auf Hände und Knie und sprang auf. Ihre Schläfen pochten vor Anstrengung.
    „Genug, Maris.“ Evans zarte Hände halfen ihr auf und zogen sie von dem Brett fort. Maris hörte S’Rella leise weinen.
    „Nun gut“, sagte Maris und versuchte, ihre Enttäuschung zu unterdrücken. „Etwas ist nicht in Ordnung. Das sehe ich ein. Aber ich bin

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