Kinder der Stürme
dahintersteckst“, aber der Wind trug jedes dritte Wort davon. „… wußte … dahintersteckst … nicht nach Hause … Klippe … gewartet. Kehr um! Ich werde dich dazu zwingen! Landgebundene!“ Die letzten Worte verstand sie vollständig und lachte ihn aus.
„Versuch es doch“, rief sie ihm trotzig entgegen. „Zeig mir, was für ein toller Flieger du bist, Corm! Fang mich doch, wenn du es kannst!“ Immer noch lachend stellte sie einen Flügel schräg, drehte sich und tauchte über ihm auf. Er sank, während sie stieg. Auch jetzt rief er ihr etwas zu.
Schon tausendmal hatte sie mit Dorrel gespielt. Sie hatten sich um Eyrie herumgejagt, hatten Fangen am Himmel gespielt. Maris tändelte mit dem Wind, sie versuchte an Geschwindigkeit und Höhe zu gewinnen. Instinktiv fand sie die richtigen Strömungen und stieg höher und schneller. Weit unter ihr gelang es Corm, seinen Sturzflug zu drosseln. Er flog Kreise und stieg allmählich wieder auf. Als er endlich ihre Höhe erreicht hatte, war sie schon weit voraus. Sie mußte über ihm bleiben. Dies war kein Spiel, und sie durfte nichts riskieren. Wenn es ihm gelänge, höher zu steigen als sie, würde er sie Zentimeter für Zentimeter nach unten drücken, bis sie ins Meer stürzte. Hinterher würde er es vielleicht bedauern, allein schon wegen der verlorenen Flügel, aber Maris wußte, daß er es trotzdem versuchen würde. Die Tradition der Flieger ging ihm über alles. Sie überlegte, wie sie wohl vor einem Jahr gehandelt hätte, wenn jemand ein Flügelpaar gestohlen hätte.
Amberly hatten sie längst hinter sich gelassen. Das einzige Land in Sichtweite war der Leuchtturm von Culhall, der tief unten am Horizont lag. Und auch der war bald verschwunden. Nichts blieb, nur die dunkle See und der Himmel. Corm verfolgte sie unerbittlich. Seine Gestalt zeichnete sich gegen die Sturmwolken ab. Aber – Maris sah sich um – er schien sich zu entfernen. Würde sie ihn besiegen? Corm war ein ausgezeichneter Flieger, das wußte sie genau. Er hatte die Westlichen Inseln bei den Wettkämpfen erfolgreich vertreten, während sie nicht zugelassen war. Jetzt war es ganz klar, der Abstand vergrößerte sich.
Blitze zuckten wieder auf, Sekunden später gefolgt von wütendem Donnergrollen. Aus der Tiefe brüllte eine Szylla, die das Donnern für eine Herausforderung hielt. Aber für Maris bedeutete es etwas anderes. Der zeitliche Abstand von Blitz und Donner zeigte ihr an, daß sich das Gewitter entfernte. Der Sturm zog nach Westen, und sie versuchte, durch einen nordwestlichen Kurs seiner Gewalt zu entkommen.
In ihr regte sich etwas. Sie drehte eine Kurve und vollführte einen Rundflug, nur so zum Spaß. Aus Übermut flog sie einen Looping und sprang wie ein Himmelsakrobat von Luftstrom zu Luftstrom. Der Wind war ihr Element, nun konnte nichts mehr schiefgehen.
Während sie im Wind herumtollte, war Corm näher gekommen. Als sie wieder zu steigen begann, sah sie ihn ganz in ihrer Nähe und hörte seine dumpfen Rufe. Er rief ihr zu, daß sie nirgendwo landen konnte, daß man eine Ausgestoßene mit gestohlenen Flügeln nicht aufnähme. Armer Corm! Was wußte er schon?
Maris tauchte so tief, bis sie Salz auf den Lippen schmeckte und das Rauschen des Wassers hörte. Wenn er sie wirklich töten und ins Wasser drängen wollte, dann hatte er jetzt die beste Gelegenheit dazu. Sie glitt dahin. Er brauchte sie nur einzuholen und von oben in die Wellen zu drücken.
Sie wußte, daß er es nicht konnte, auch wenn er es sich noch so sehr wünschte. Als sie die Wolken verließ und in einen klaren Nachthimmel mit leuchtenden Sternen hinausglitt, war Corm nur noch ein winziger Punkt, der immer kleiner wurde. Maris wartete, bis sie seine Flügel nicht mehr sehen konnte, dann suchte sie einen neuen Aufwind und flog gen Süden. Corm würde noch eine ganze Weile nach ihr suchen, bis er aufgeben und nach Amberly zurückfliegen mußte.
Sie war allein mit ihren Flügeln und dem Himmel und genoß den kurzen Frieden.
Stunden später leuchteten in der Dunkelheit die ersten Lichter der Insel Laus auf. Es waren die Leuchtfeuer der alten Festung. Maris hielt genau auf sie zu, und bald lag die Ruine der alten Festung, bis auf ein Feuer völlig ausgestorben, unter ihr.
Sie flog über die felsige Insel hinweg zum Landestreifen auf dem südwestlichen Ausläufer. Laus war zu dünn besiedelt, um eine Fliegerhütte zu unterhalten, und zum ersten Mal war Maris dankbar dafür. Es gab keine Helfer, die angerannt
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