Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kinder der Stürme

Kinder der Stürme

Titel: Kinder der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
Vom Netzwerk:
Fliegernachwuchs Platz genommen. Die meisten dieser Jugendlichen waren mit Booten von den nahe gelegenen Inseln gekommen, um den historischen Augenblick mitzuerleben.
    Aber wie Coli würden sie beim Ausgang der Verhandlung keine Rolle spielen. Wie erwartet straften sie Coli mit Nichtachtung, denn sie waren alle Kinder, die sich danach sehnten, in den Himmel steigen zu dürfen. Sie konnten nicht verstehen, daß ein Junge freiwillig auf seine Flügel verzichtete. Er sah schrecklich einsam und fehl am Platze aus. Und so fühlte sich auch Maris.
    Die Trommeln verstummten. Jamis, der Senior, erhob sich. Seine tiefe Stimme erfüllte den Saal. „Für viele der Anwesenden ist dies die erste Versammlung“, sagte er. „Die meisten von euch kennen die Umstände, die zu der Versammlung führten. Meine Regeln sind recht einfach. Corm soll als erster sprechen, weil er die Versammlung einberufen hat. Dann soll Maris, die Angeklagte, die Gelegenheit haben, ihm zu antworten. Danach kann jeder aktive oder ehemalige Flieger seine Meinung vertreten. Ich bitte nur darum, daß ihr laut genug sprecht und euch vorstellt, denn die meisten werden sich nicht kennen.“ Er nahm wieder Platz.
    Corm stand auf und erhob die Stimme. „Nach dem Gesetz der Flieger habe ich diese Versammlung einberufen“, sagte er selbstsicher. „Ein Verbrechen wurde verübt, dessen Schwere und Bedeutung eine Erwiderung verlangt, von uns, die wir uns als Flieger verstehen. Unser Urteil wird über unsere Zukunft entscheiden, so wie die Urteile der Versammlungen in früheren Zeiten. Stellt euch vor, wie unsere Welt heute aussähe, wenn unsere Väter und Mütter sich dafür entschieden hätten, Waffen mit in die Luft zu nehmen. Die Flieger würden nicht als große Familie existieren, wir wären zerrissen durch regionale Rivalitäten, statt über den Streitigkeiten an Land zu schweben, wie es uns gebührt,“
    Er fuhr fort und malte das Bild einer Verwüstung, die unweigerlich entstanden wäre, wenn die damalige Versammlung sich falsch entschieden hätte. Er ist ein guter Redner, dachte Maris. Er spricht so gut, wie Barrion singt. Sie befreite sich aus dem Bann, den er ausgelöst hatte, und überlegte, was sie ihm entgegensetzen konnte.
    „Unser heutiges Problem ist ebenso schwerwiegend“, fuhr er fort, „und eure Entscheidung wird nicht nur eine Person betreffen, für die ihr vielleicht Mitleid empfindet, sondern wird für unsere Kinder und alle nachfolgenden Generationen Gültigkeit haben. Bedenkt dies, wenn ihr heute nacht die unterschiedlichen Argumente hört.“ Er blickte sich im Saal um. Obwohl sein durchdringender Blick Maris nicht traf, hatte er sie eingeschüchtert.
    „Maris von Klein Amberly hat ein Flügelpaar gestohlen“, sagte er. „Ich glaube, die Fakten sind euch allen bekannt …“ – trotzdem schilderte Corm alles, was sich zugetragen hatte, angefangen von ihrer Herkunft, bis hin zu der Begebenheit am Strand – „… und ein neuer Flieger ist bereits gefunden. Aber bevor Devin von Gavora, der heute unter uns weilt, hier ankam und die Flügel übernehmen konnte, hatte Maris sie gestohlen und ist mit ihnen geflohen.
    Aber das ist noch nicht alles. Stehlen ist verwerflich, aber selbst der Diebstahl der Flügel ist nicht der eigentliche Grund für diese Versammlung. Maris wußte, daß sie die Flügel nicht behalten konnte. Sie hat sie nicht gestohlen, um mit ihnen zu fliehen, sondern in der Absicht, sich gegen unsere lebenswichtigen Traditionen aufzulehnen. Sie stellt die Grundlagen unserer Gesellschaft in Frage. Sie würde das Eigentumsrecht Streitigkeiten aussetzen und uns somit der Anarchie ausliefern. Deshalb müssen wir unsere Mißbilligung deutlich zum Ausdruck bringen und sie in dieser Versammlung, die in die Geschichte eingehen wird, verurteilen. Sonst könnten die Tatsachen später schnell auf den Kopf gestellt werden. Es könnte geschehen, daß man Maris als eine mutige Rebellin in Erinnerung behält und nicht als die Diebin, die sie tatsächlich ist.“
    Schmerz durchzuckte Maris bei diesen Worten. Diebin. War sie wirklich eine Diebin?
    „Sie hat Freunde unter den Sängern, die uns nur zu gern verspotten und in ihren Liedern ihren Mut preisen würden“, fuhr Corm fort. Maris klangen Barrions Worte im Kopf: Ich werde uns alle zu Helden machen. Ihre Augen suchten Coli in der Menge. Er saß aufrecht da; ein leises Lächeln umspielte seinen Mund. Sänger hatten tatsächlich Macht, jedenfalls die guten.
    „Wir sind es der Geschichte

Weitere Kostenlose Bücher