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Kinder der Stürme

Kinder der Stürme

Titel: Kinder der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
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eines wahren Fliegers würden ihm immer versagt bleiben. Und das, dachte Maris, war die grausamste Wahrheit in Vals Leben.
    Als sie am Stand der Sonne erkannte, daß es schon fast Mittag war, flog sie einen großen Bogen, um den Rückflug nach Skulny anzutreten.
    Am späten Nachmittag ruhte sich Maris allein in ihrer Hütte aus, als sie von einem lauten und hartnäckigen Klopfen gestört wurde.
    Ihr Besucher war ein Fremder, ein kleiner, schlanker, hohlwangiger Mann mit grauem, zurückgekämmtem Haar, das zu einem Knoten zusammengebunden war. Einer von den Ostinseln: Seine Haartracht und seine pelzbesetzte Kleidung verrieten es ihr. An einem Finger trug er einen Eisenring und an einem andereji einen aus Silber – Zeichen seines Wohlstandes.
    „Mein Name ist Arak“, sagte er. „In den letzten drei Jahren bin ich für Süd Arren geflogen.“
    Maris öffnete die Tür, ließ ihn herein und deutete auf den einzigen Stuhl. Sie setzte sich auf das Bett. „Du kommst von Vals Heimatinsel.“
    Er schnitt eine Grimasse. „In der Tat. Gerade über Val Einflügler wollte ich mit dir sprechen. Einige von uns haben gesagt …“
    „Uns?“
    „Flieger.“
    „Welche Flieger?“ Seine Selbstsicherheit weckte Feindseligkeit in ihr. Sie mochte weder seine anmaßende Art noch seinen Ton.
    „Das macht nichts“, sagte Arak. „Man hat mich zu dir geschickt, weil man grundsätzlich der Meinung ist, daß du das Herz eines Fliegers hast, selbst wenn du keine geborene Fliegerin bist. Du hättest Val Einflügler sicher nicht geholfen, wenn du gewußt hättest, was für ein Mensch er ist.“
    „Ich kenne ihn“, sagte Maris. „Ich mag ihn nicht, und ich habe Aris Tod nicht vergessen, aber trotzdem verdient er eine Chance.“
    „Er hatte mehr Chancen, als er jemals verdiente“, sagte Arak wütend. „Kennst du seine Abstammung? Seine Eltern waren lasterhaft, schmutzig und ungebildet. Sie kamen aus Lomarron und nicht etwa aus Süd Arren. Kennst du Lomarron?“
    Maris nickte. Sie erinnerte sich an einen Flug nach Lomarron vor drei Jahren. Eine große, gebirgige Insel mit unfruchtbarem Boden, aber reich an Erzvorkommen. Aufgrund dieses Reichtums gab es lokale Kriege. Der größte Teil der Landgebundenen arbeitete in den Minen. „Seine Eltern waren Minenarbeiter“, riet sie.
    Aber Arak schüttelte den Kopf. „Landwächter“, sagte.er. „Professionelle Killer. Sein Vater war ein Messerkämpfer, und seine Mutter kämpfte mit der Schleuder.“
    „Viele Inseln haben Landwächter“, wich Maris verlegen aus.
    Arak schien die Situation zu genießen. „Aber auf Lomarron haben sie mehr zu tun als auf anderen Inseln“, sagte er. „Zu viel, wahrscheinlich. In einem Kampf verlor seine Mutter ihre Hand; sie wurde sauber vom Handgelenk abgetrennt. Kurz danach gab es einen Waffenstillstand. Aber Vals Familie richtete sich nicht danach. Sein Vater tötete einen Mann, und die drei mußten in einem gestohlenen Fischerboot von Lomarron fliehen. So sind sie nach Süd Arren gekommen. Die Mutter war nur noch ein nutzloser einarmiger Krüppel, aber sein Vater trat wieder in die Landwacht ein. Jedoch nur für kurze Zeit. Eines Nachts, als er völlig betrunken war, hat er der Wirtin erzählt, wer er war. Die Nachricht erreichte den Landmann und gelangte nach Lomarron. Er wurde als Dieb und Mörder gehängt.“
    Maris saß schweigend da, sie fühlte sich benommen.
    „Ich weiß das alles“, fuhr Arak fort, „weil ich mich der armen Witwe annahm. Ich stellte sie als Haushälterin und Köchin ein, obwohl sie mit ihrer einen Hand nur ungeschickt und langsam war. Ich gab ihnen eine Unterkunft, reichlich zu essen und erzog Val wie meinen eigenen Sohn. Ohne seinen Vater hätte er zu mir aufblicken sollen. Ich bot ihm ein gutes Vorbild und lehrte ihn die nötige Disziplin. Aber es war umsonst, sein Blut war schlecht. Die Freundlichkeit, die ich beiden entgegenbrachte, war vergeudet, und alles, was du für ihn tust, ist ebenfalls vertan. Seine Mutter war faul und unfähig, sie jammerte und beklagte sich und wurde niemals rechtzeitig mit ihrer Arbeit fertig. Aber dennoch erwartete sie, ordentlich bezahlt zu werden. Val spielte ‚Messerkämpfer’ und ‚Leute umbringen’. Er versuchte sogar, meinen eigenen Sohn in diese Spiele einzubeziehen, aber ich konnte es rechtzeitig verhindern. Er übte nur einen schlechten Einfluß aus. Beide stahlen, mußt du wissen, er und seine Mutter. Irgend etwas fehlte immer. Ich mußte mein Eisen vor ihnen verschließen.

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