Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kinder der Stürme

Kinder der Stürme

Titel: Kinder der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
Vom Netzwerk:
Eines Nachts habe ich ihn dann erwischt, wie er mit meinen Flügeln spielte. Er dachte, ich schliefe.
    Dann bekommt er die Chance, die Flügel auf redliche Weise zu gewinnen, und was tut er? Er greift die arme Ari an, die keine Chance hatte. Es kommt einem Mord gleich. Er kennt keine Moral und hat kein Ehrgefühl. Ich konnte es nicht in ihn hineinprügeln, als er ein kleiner Junge war, und nun …“
    Maris erhob sich. Plötzlich erinnerte sie sich an die Narben auf Vals Rücken. „Du hast ihn geschlagen?“
    „Hm?“ Arak sah sie überrascht an. „Natürlich habe ich ihn geschlagen. Es war die einzige Möglichkeit, ihm Vernunft beizubringen. Zuerst mit einem Schwarzholzstock, als er klein war, dann, als er älter wurde, nahm ich hin und wieder die Peitsche. Genau wie bei meinem eigenen Sohn.“
    „Wie bei deinem eigenen Sohn. Was ist mit den anderen Dingen, die du deinem Sohn zukommen ließest? Haben Val und seine Mutter mit dir an einem Tisch gegessen?“
    Arak stand auf. Sein scharf geschnittenes Gesicht verzog sich vor Erregung. Selbst wenn er stand, war er sehr klein und mußte zu Maris aufblicken. „Natürlich nicht“, gab er zurück. „Landgebundene Diener essen nicht mit ihrer Herrschaft. Ich gab ihnen alles, was sie brauchten. Du willst mir doch nicht unterstellen, daß ich sie verhungern ließ.“
    „Du gabst ihnen deine Abfälle“, sagte Maris mit wütender Bestimmtheit. „Abfälle und Ablehnung, all den Müll, den du nicht wolltest.“
    „Ich war bereits ein wohlhabender Flieger, als du noch eine landgebundene Göre warst, die ihr Essen aus dem Feld ausbuddelte. Willst du mir erklären, wie ich meinen Haushalt führen soll.“
    Maris ging auf ihn zu und ragte vor ihm auf. „Hast ihn wie deinen Sohn großgezogen, nicht wahr? Und was hast du ihm geantwortet, als du deinen eigenen Sohn das Fliegen lehrtest und Val dich fragte, ob er auch einmal die Flügel tragen dürfte?“
    Arak brachte ein ersticktes Lachen hervor. „Die Idee habe ich ihm schnell aus dem Kopf geschlagen“, sagte er. „Das war lange bevor du mit deinen verdammten Akademien kamst und den Landgebundenen Flausen in den Kopf setztest.“
    Sie stieß ihn weg.
    Noch nie war Maris aus Wut handgreiflich geworden, aber nun stieß sie ihn mit beiden Händen. Sie wollte ihn verletzen. Arak taumelte rückwärts, das Lachen blieb ihm im Hals stecken. Wieder stieß sie ihn, er stolperte und fiel hin. Sie stand über ihm und sah nervöse Ungläubigkeit in seinen Augen. „Steh auf“, sagte sie. „Steh auf und verschwinde, du schmutziger kleiner Mann. Wenn ich könnte, würde ich dir die Flügel vom Rücken reißen. Du verpestest den Himmel.“
    Arak stand auf und bewegte sich auf die Tür zu. Draußen gewann er seinen Mut zurück. „Das Blut verrät sich“, sagte er und blickte Maris wütend durch die Tür an. „Ich wußte es. Ich habe es ihnen gesagt. Landgebundener ist Landgebundener. Die Akademien werden geschlossen. Wir hätten dir die Flügel früher wegnehmen sollen; nun, wir tun es jetzt, es ist noch nicht zu spät.“
    Zitternd schlug Maris die Tür zu.
    Plötzlich überfiel sie ein entsetzlicher Verdacht. Sie rieß die Tür auf und rannte hinter ihm her. Als Arak sie kommen sah, begann er zu rennen, aber sie holte ihn ein und schlug ihn zu Boden. Einige erstaunte Flieger beobachteten die Szene, aber niemand griff ein.
    Arak duckte sich unter ihr. „Du bist verrückt“, rief er. „Laß mich zufrieden!“
    „Wo wurde Vals Vater gehängt?“ fragte Maris.
    Arak richtete sich mühsam auf. „Auf Arren natürlich. Es bestand kein Grund, ihn mit dem Schiff zurückzubringen“, sagte er und machte einen Schritt zurück. „Unser Strick war genausogut.“
    „Aber das Verbrechen wurde auf Lomarron verübt, deshalb hätte der Landmann auf Lomarron die Exekution anordnen müssen“, sagte Maris. „Wie gelangte der Exekutionsbefehl zu eurem Landmann? Du hast ihn übermittelt, nicht wahr? Du bist beide Male geflogen!“
    Arak sah sie an und rannte weg. Diesmal folgte Maris ihm nicht.
    Sein Gesichtsausdruck hatte ihr alles gesagt, was sie wissen wollte.
    In der Nacht blies ein kräftiger kalter Seewind, aber Maris ging langsam, denn ihr lag nichts daran, die Einsamkeit der Küstenstraße gegen ein Gespräch mit Val einzutauschen. Sie wollte zwar mit Val sprechen, sie hatte geradezu den Drang, es tun zu müssen, aber sie war sich nicht sicher, was sie sagen sollte. Zum ersten Mal glaubte sie, ihn zu verstehen. Und dieses Gefühl der

Weitere Kostenlose Bücher