Kinder der Stürme
perplex an. „Oh? Wenn du meinst.“
Als Val außer Sichtweite war, sagte Maris: „S’Rella, selbstverständlich bist du willkommen, aber warum …“
S’Rella wandte sich ihr zu und musterte sie mit ernstem Gesicht. „Du hast Garth ausgelassen“, sagte sie.
Maris war verblüfft. Natürlich hatte sie an Garth gedacht. Er war krank, trank zuviel und hatte zugenommen. Vielleicht wäre es sogar das beste für ihn, die Flügel zu verlieren. Aber sie wußte, daß er dem niemals zustimmen konnte. Lange Zeit hatte sie ihm sehr nahe gestanden und es nun nicht geschafft, seinen Namen gegenüber den Holzflüglern zu erwähnen.
„Ich konnte es nicht“, sagte sie. „Er ist mein Freund.“
„Sind wir nicht auch deine Freunde?“
„Natürlich.“
„Aber nicht so gute wie Garth. Dir liegt mehr daran, ihn zu schützen, als uns zu unseren Flügeln zu verhelfen.“
„Vielleicht war es ein Fehler, ihn zu übergehen“, gestand Maris, „aber mir liegt sehr viel an ihm, und es fällt mir nicht leicht, S’Rella. Du hast Val doch nichts von Garth erzählt, oder?“ Plötzlich machte sie sich Sorgen.
„Keine Angst“, sagte S’Rella. Sie drängte sich an Maris vorbei in die Hütte und begann sich auszuziehen. Maris konnte ihr nur hilflos folgen und bedauerte ihre Frage.
„Ich möchte, daß du das verstehst“, sagte Maris zu S’Rella, als das Mädchen aus dem Süden unter seine Decke schlüpfte.
„Ich verstehe“, antwortete S’Rella. „Du bist ein Flieger.“ Sie drehte sich auf die Seite, ihren Rücken Maris zugewandt, und sagte nichts mehr.
Der erste Tag dämmerte hell und ruhig heran.
Von ihrem Standpunkt vor der Fliegerhütte schien es Maris, als wäre die halbe Einwohnerschaft von Skulny gekommen, um den Wettkämpfen beizuwohnen. Überall waren Menschen: Sie gingen am Ufer entlang, kletterten über die scharfkantigen Klippen, um besser sehen zu können, setzten sich allein oder in Gruppen ins Gras, in den Sand oder auf die Steine. Der Strand war überfüllt von Kindern jeglichen Alters. Sie rannten auf und ab, wirbelten durch ihre Lebhaftigkeit Staubwolken auf, tollten in der Brandung herum, riefen aufgeregt, rannten mit ausgestreckten Armen umher und spielten Flieger. Händler zogen durch die Menge. Ein Mann hatte sich Würste umgehängt, ein anderer trug Weinschläuche, eine Frau schob einen Wagen, der mit Fleischstücken beladen war, umher. Selbst die See war voll von Zuschauern. Maris konnte mehr als ein Dutzend Boote ausmachen, die Passagiere trugen. Sie schwammen hinter der Brandung bewegungslos auf dem Wasser. Und sie wußte, es waren noch mehr da, die sie nicht sehen konnte.
Nur der Himmel war leer.
Normalerweise war der Himmel von ungeduldigen Fliegern bevölkert, deren silberglänzende Flügel Kreise zogen, während sie die letzten Minuten zum Üben nutzten oder einfach den Wind testeten. Aber heute war keiner da.
Heute war die Luft völlig ruhig.
Diese Totenstille war beängstigend. Es war unnatürlich und unmöglich. Entlang der Küste hätte eine ständig steife Brise herrschen müssen. Statt dessen lag über allem eine erstickende Schwere. Selbst die Wolken hingen träge am Himmel.
Mit über die Schultern geworfenen Flügeln schritten Flieger den Strand ab. Von Zeit zu Zeit blickten sie besorgt auf und warteten auf die Rückkehr des Windes, wobei sie mit leisen Stimmen über die unheimliche Stille diskutierten.
Die Landgebundenen warteten gespannt auf den Beginn der Wettkämpfe. Viele von ihnen hatten nicht einmal bemerkt, daß etwas fehlte. Trotz allem war es ein herrlich klarer Tag. Oben auf den Klippen schlugen die Richter ihr Lager auf und nahmen ihre Plätze ein. Der Wettkampf konnte nicht auf das richtige Wetter warten. Wettbewerbe, die in dieser trägen Luft stattfanden, waren zwar nicht besonders aufregend, aber Geschick und Ausdauer konnten sehr wohl geprüft werden.
Maris sah Sena die Holzflügler über den Sand zu den Treppen geleiten, die zu den Klippen führten. Sie beeilte sich, sie zu erreichen.
Vor den Richtertischen hatte sich eine lange Schlange gebildet. Hinter ihnen saßen der Landmann von Shotan und vier Flieger, je einer aus dem Osten, dem Süden, dem Westen und den Äußeren Inseln.
Die Ausruferin des Landmanns, eine stämmige Frau mit einem Oberkörper wie ein Faß, stand am Rand der Klippe. Nachdem jeder Herausforderer den Richtern seinen Gegner genannt hatte, legte sie ihre Hände trichterförmig an den Mund und rief für alle hörbar die Namen aus.
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