Kinder des Donners
Jahre? ... der Pessi- mist sieht zu und fürchtet, daß er wieder einmal recht behalten wird; ihm sieht es in einem Teil der Welt nur so aus, als würde sich Entscheidendes ändern — und wenn ... nur vorübergehend.
Die Menschen, die ein totalitäres Joch abgeschüttelt haben, freuen sich natürlich, daß jetzt >Demokratie< ein- kehrt, sie durften bisher über offensichtliche Mißstände
nicht einmal reden. Geht alles seinen optimismus- schwangeren Gang, werden sie bald reden und krakee-
len dürfen, wie die Hausbesetzer im Westen und die Gegner der Startbahn West. Wie Atomgegner und De- monstranten gegen Rechtsdiktaturen und gegen Kon- sumterror — und werden schmerzlich erfahren müssen, daß Demokratie erst Sinn hätte, wenn man — als Volk — tatsächlich etwas verändern könnte. Wen von denen da oben kümmern Tausende auf der Straße, dagegen
wurden schalldichte Türen und gut isolierte Gewissen erfunden. Die Kassa muß stimmen — nicht die Moral. Jeweils systemimmanent: die Ohnmacht der Bevölke- rung gegenüber den Regierenden, sie merkt es (traditio- nell) nicht, »wie unfähig sie sind, völlig außerstande, je- dem Menschen in diesem Land, das zu den reichsten
Ländern der Erde gehört, ein anständiges Leben zu si- chern. Was tun sie? Sie versuchen die Leute zu zwin- gen, sich so zu verhalten, wie sie wollen! Mit vorgehal- tener Waffe!« Diese vorgehaltene Waffe muß nicht einen feuerspeienden Lauf haben: leichte Kreditmöglichkei-
ten, eine aggressive Werbung, die Erpreßbarkeit über
Haben oder Nichthaben eines Arbeitsplatzes, die Kon- struktion also von gesellschaftlichen Bedingungen an sich, schon in Kindergarten und Schule ... sie implan- tieren ihre >vorgehaltenen Waffen< schon in die Ge- hirne.
Sie erfinden Marktmechanismen, die gebären Sach- zwänge, folgen Arbeitslose, s.o., Freiwillige, die diese realen Waffen halten, der Kreis schließt sich immer wie- der und immer wieder, solange es Soldateskas gibt: »Was (aber) ist die (jede) Armee anderes als ein Haufen von legalen Terroristen ... bloß kriegen sie dort dafür bezahlt, daß sie die Leute zusammenschießen und ih-
nen die Schädel einschlagen ...«
Diese Welt John Brunners wird beherrscht von tägli- chen Krawallen, Kontinente brennen, Städte zerfallen, die Welt bricht auseinander ... Hochsaison für die Ma-
nipulatoren: »Kürzlich sah ich einen idiotischen Pfaffen im Fernsehen, der allen Ernstes tat, als ob er seine Ge- meinde ... zum Choralsingen auf die Straße schick- te —« ...
»Um genau den Ton zu finden, der Glas zerspringen läßt?«
Zukunft ist hier schon passiert: wenn sie könnten, wie sie wollen ... die Reichskristallnacht wäre unver-
meidbar aktuellste Gegenwart. Bei Brunner ziehen die Glaubensstreiter bloß aus, um in blutigen Straßen- schlachten die Armen vor dem Abgleiten in die Krimi- nalität zu bewahren, und wenn sich einer nicht und nicht erlösen läßt, erschlagen sie ihn eben — besser für ihn, er ist tot als er lebte in dem, was sie Sünde nennen — ein schauriger, tödlicher Kampf für ihre perversen Regeln, Vorstellungen, und wieder einmal dient das >Gott mit uns< als Schild.
Brunners märchenhafte Zauberlösung gibt es nicht,
nicht das Mittel, »die Menschheit zum Gebrauch ihres geistigen Potentials anzuleiten«, wenn es das gäbe, lan-
dete es, wie auch schon gehabt, auf den Scheiterhaufen.
Wie jedesmal, wenn diese Menschheit die Gelegenheit hatte — gehabt hätte, es sich wenigstens einbildete, ei- nen Versuch unternahm — »jener vorsätzlichen Ermuti- gung zur Selektiven Unaufmerksamkeit« entgegenzu- wirken, »mit welcher die Schuldigen unter uns arbeiten, um zu verhindern, daß sie zur Rechenschaft gezogen werden«. Weiter wird der »natürliche Instinkt (sich zu wehren) durch Manipulationen gigantischen Ausma- ßes« von den eigentlichen Feinden abgewendet, ins Ge- genteil verkehrt, gerade »zur Aufopferung des Lebens für politische Führer mißbraucht, die sich selbst niemals in die Kampfzone begeben würden, weil sie dafür viel
zu vernünftig (sind)«. »... vernünftig?«: fast stolpert man zunächst über dieses Brunnersche Wort, aber na-
türlich stimmt es, steht es richtig: gleichgültig, was der
Beweggrund ist und wie groß die Verbrechen derer, die
danach handeln — es ist nun einmal >vernünftig<, sein Leben nicht zu >opfern<, für nichts, für niemanden ... es vielmehr ... zu leben.
Auch wenn das nicht immer ganz einfach ist ... Gene und Stacy sind z. B. dazu
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