Kinder des Donners
um
das Weltgeschehen kaum gekümmert. Doch jetzt, nach- dem sie erkannt hatte, was der Beruf ihres >Dad< war, beteuerte sie, daß sie es sehr aufmerksam beobachte, und legte in der Tat ein lebhaftes Interesse an den Tag.
Niemand kann ihr vorwerfen, daß sie sich keine Mühe gibt!
Ab und zu fragte er sie, ob es ihr einigermaßen gut-
ging, und sie zwang sich zu einem Lächeln und nickte.
»Das ist ganz normal«, lautete ihr Urteil. »Es war nur zunächst ein Schock festzustellen, daß es auch mir pas- siert.«
Von wie vielen Dingen konnte man das gleiche sagen ?
Die Nachrichtensendung bestand aus den üblichen Mel-
dungen von Unfällen und Katastrophen, durchsetzt von den Einlassungen der führenden Köpfe, die morgen al- les in Ordnung bringen würden. Ein Hochhausblock war in Brand gesteckt worden; die Täterin war eine ehe-
malige Patientin einer psychiatrischen Klinik, die unter dem Vorwand, daß sie >wieder in die Gemeinschaft ein- gegliedert werden sollte, entlassen worden war. Der Preis dafür waren zehn Menschenleben, einschließlich des ihren. Die Häuser einer ganzen Straße waren einge- stürzt, weil Wasser aus einem nicht reparierten Rohr sie unterspült und ihre Fundamente abgetragen hatte. Eine Brücke in verwahrlostem baulichen Zustand war einge- brochen. Zwei Tankwagen, beladen mit leichtentflamm- baren Chemikalien, und ein Omnibus waren in den Fluß darunter gestürzt, und sechzig Menschen waren entweder verbrannt oder ertrunken. Weitere Zweifel waren am Sinn eines Tunnels durch den Ärmelkanal, des sogenannten Ka-Tu, laut geworden, geäußert von einem Psychologen, der am Frejus-Tunnel in den Al- pen einen Test mit Fernfahrern, denen man normaler- weise eine robuste Natur nachsagte, durchgeführt hatte. Ein Drittel von ihnen hatte es abgelehnt, viermal hinter- einander durchzufahren, was er von ihnen verlangt hat- te; sie hatten eine starke Klaustrophobie entwickelt. Ei-
ne weitere Untersuchung erbrachte, daß der gleiche An- teil unter ihren Kollegen sich einige Zeit zuvor gewei- gert hatte, diese Strecke zu fahren. Wie viele der voraus- sichtlichen Ka-Tu-Benützer würden unter den gleichen Symptomen leiden?
Im Rahmen einer Fragestunde über aktuelle Angele-
genheiten, die auf einem anderen Sender folgte, deutete ein Kabinettsmitglied in schleimigem Tonfall darauf hin, daß es sich bei dem Psychologen um einen Italiener handelte und man ihn deshalb nicht so ganz ernst zu
nehmen brauchte.
In diesem Moment klingelte es endlich an der Tür.
Claudia trat mit einem Schwall von Verwünschungen und Entschuldigungen ein. Offenbar war der Minitaxi- Dienst, dem ihre Gastgeberin ihr Vertrauen zu schenken pflegte, im Besitz tamilischer Emigranten, und an die-
sem Abend war auf die Zentrale ein Brandanschlag ver- übt worden — eine weitere Aktion im fortdauernden Kampf zwischen den Tamilen und Singalesen. Infolge- dessen hatte sie sich nach einer anderen Beförderungs- möglichkeit umsehen müssen.
Noch ein Faden im reichlich bunten Webteppich des Le- bens ...
Ellen blieb noch so lange, bis sie vorgestellt worden war, dann gab sie Peter einen Kuß und verschwand wie- der in ihrem Zimmer. Während sie eine vollgepackte Ta-
sche auf die Couch fallen ließ, nickte ihr Claudia hinter- her.
»Hübsches Kind! Wie fühlt man sich als alleinerzie- hender Elternteil?«
»Sie macht es mir leicht«, murmelte Peter und schal-
tete den Fernsehapparat aus. »Der Himmel mag wissen, wie sie das schafft, nach all den schrecklichen Erlebnis- sen, die sie hinter sich hat.«
»Beruhigungsmittel?«
»So etwas würde sie niemals anrühren. Der Einfluß ihrer Mutter macht sich da bemerkbar. Kamala war Krankenschwester. Natürlich hat Ellen schlimme Träu- me, und die Sozialarbeiterin hat zu Schlaftabletten ge- raten, doch die will sie auch nicht nehmen. Manchmal weckt sie mich nach Mitternacht auf, dann muß ich zu ihr gehen und sie trösten, aber ... nun, man sagt, es sei am besten, Kummer nicht zu unterdrücken, nicht wahr? Setzen Sie sich bitte. Möchten Sie etwas zu trinken?«
»Ich hätte nichts dagegen.« Claudia lehnte sich zu-
rück, mit deutlichen Spuren von Erschöpfung im Ge- sicht, und fuhr sich mit den Händen durch die zum Pa- genkopf geschnittenen Haare.
»Ich habe nicht viel anzubieten, fürchte ich. Meine ... ah ... Lebensbedingungen haben sich ziemlich drastisch geändert. Scotch mit Wasser?«
»Mit Eis. Ich brauch' 'n bißchen Schmackes in die Kischkas.«
»Wie bitte?« — Er hielt das für
Weitere Kostenlose Bücher