Kinder des Donners
nachdem du gestern nacht so spät ins Bett gekommen bist, würdest du heute bis mittags schlafen! Was sind das für Geschichten, die ich da höre? Der Ma- resciallo ist hier, noch dazu mit einer bewaffneten Eskor- te?«
»Es ist absolut wahr«, bestätigte GianMarco. »Er war- tet dort drin« — er nickte in die Richtung der Tür, die Giuseppina angelehnt gelassen hatte.
»Hmm! Das hört sich ja sehr geheimnisvoll an. Am besten bleibst du noch eine Weile hier, während ich her- ausfinde, um was es geht.«
Schamlos lauschend, hörte GianMarco, wie er den Polizeichef begrüßte und ihn fragte, was ihn denn her- führte.
»In der vergangenen Nacht ist ein Anschlag auf die Scheune der Kooperative verübt worden«, lautete die Antwort. »Ein Mann ist dabei erschossen worden.«
»Sie wollen doch nicht sagen, daß jemand zu Tode ge- kommen ist!« — im angemessen entsetzten Tonfall.
»Bis jetzt noch nicht, doch die Ärzte geben dem Be-
troffenen keine Überlebenschance. Doch er ist bei Be- wußtsein und ...«
Eine feierliche Pause.
»Und was?«
»Er hat eine Aussage gemacht, in der er behauptet,
den Mann, der auf ihn geschossen hat, erkannt zu ha- ben. Luigi Renzo. Einer Ihrer Pächter.«
»Aber das ist ja lächerlich! Wie konnte er so sicher sein! Gestern abend war kein Mond am Himmel, das weiß ich sehr genau. Zufällig war ich mit GianMarco bei meiner Schwägerin Anna zu Besuch — Sie kennen An-
na natürlich —, und wir sind erst sehr spät zurückge-
kommen. Deshalb war ich auch so überrascht, meinen Sohn schon so früh auf den Beinen zu sehen. Ich ver-
mute, der Krach hat ihn aufgeweckt.«
»Er kam, um sich zu erkundigen, ob irgend etwas
Aufregendes im Gange sei.«
»Nun, es hört sich ja ganz danach an, als ob es so wä- re. Doch wenn der Mann mit der Waffe als Renzo er- kannt worden ist, warum sind Sie dann hier, anstatt bei ihm zu Hause?«
»Oh, ich habe eine andere Gruppe zu ihm geschickt«, sagte der Maresciallo. »Ich bin hier, weil das Opfer au- ßerdem ausgesagt hat, Stimmen von drei Männern ge- hört zu haben — dadurch sei er überhaupt erst auf- merksam geworden. Und ...«, schloß er wohlüberlegt,
»er sagt, die eine Stimme sei die Ihre gewesen.«
»Aber das ist ja vollkommen absurd!«
»Als ich das Krankenhaus verließ, sollte er gerade die Letzte Ölung erhalten. Menschen, die wissen, daß sie sterben werden, lügen im allgemeinen nicht. Dazu
kommt, daß wir in der Nähe des Tatorts Reifenspuren in der Erde gefunden haben. Sie passen genau zu den Rei- fen Ihres Wagens.«
Wie sehr sich sein Ton und sein Benehmen von seiner üblichen Leutseligkeit unterschieden! GianMarco merk- te, daß er anfing zu zittern.
»Sie sagen also, Sie seien gestern abend spät von ei- nem Besuch bei Ihrer Schwägerin zurückgekehrt. Ich weiß, wo sie wohnt. Der direkte Weg von dort hierher führt nicht über das Land der Kooperative, sondern über eine Straße seitlich davon ... Hmm! Wie spät ist >spät«
»Ich glaube, wir sind gegen halb eins nach Hause ge- kommen.«
»Der Anschlag fand kurz nach zwölf statt. Sie müs- sen sich in Hörweite des Schusses aufgehalten haben,
als ...«
»Jetzt hören Sie mal zu!« Renato sprang auf. »Ich be- greife, worauf Sie hinauswollen, und das gefällt mir ganz und gar nicht! Ich bin ohne Unterbrechung nach
Hause gefahren. GianMarco, bist du noch da? Komm doch mal herein und erzähle dem Maresciallo, wie die Heimfahrt gestern abend verlaufen ist!«
GianMarco war nicht in der Lage, seine Furcht völlig zu verbergen, als er den Salon betrat.
»Nichts Auffälliges ist geschehen«, sagte er leise. »Wir sind auf direktem Weg nach Hause gefahren, wie Papa sagte.«
Die Kälte, die von ihm Besitz ergriffen hatte, wurde immer stärker, als ob etwas in ihm die Herrschaft über seine Stimme, seine Bewegungen, ja sogar sein Denken übernommen hätte.
Der Maresciallo gab ein ungläubiges Grunzen von sich. »Warst du während der Fahrt wach?« setzte er an
und schien die Hoffnung auf eine Antwort im gleichen
Moment aufzugeben, als die Worte ausgesprochen wa- ren. GianMarco sah ihn eindringlich an und legte ihm
beschwörend eine Hand auf den Arm, als ob dieser Mann immer noch der onkelhafte Freund der Familie wie bisher wäre.
»Signor Maresciallo, Sie kennen meinen Vater als eh- renhaften Mann. Niemals würde er sich zu einer so ab- scheulichen Tat herablassen! Ich stimme mit Ihnen darin überein, daß Menschen, die den Tod herannahen füh- len, im allgemeinen nicht
Weitere Kostenlose Bücher