Kinder des Donners
angehörte und früher Bürger-
meister war, mochte das nicht ganz so leicht sein.
In diesem Fall — er ballte die Hände unter der Bett- decke zu Fäusten, als er die immer erregter klingende Stimme seines Vaters dort unten hörte —, was würde in diesem Fall aus ihm werden? Oh, es war völlig klar, daß er und seine Mutter und sein Onkel und Anna lü- gen würden, um Renato zu schützen — doch wenn die
Wahrheit auf einem anderen Wege herauskäme, zum
Beispiel, weil einer der Männer die Nerven verlor oder plötzlich von Gewissensbissen geplagt wurde? Oder
vielleicht, weil sich das Siegel des Beichtgeheimnisses als weniger heilig erwies, als es früher einmal war? Der zuständige Geistliche war ein Außenseiter aus Foggia, der angeblich als Strafe für seine radikalen Ansichten in diese Gegend versetzt worden war, eine Unterstellung, die seine Beliebtheit bei den Mitgliedern der Kooperati- ve nur gefördert hatte. Er würde den Tessolaris gegen-
über wenig Mitgefühl aufbringen.
Wenn die wahren Tatsachen ans Licht kämen, dann
wären diejenigen, die gelogen hatten, ebenfalls Krimi- nelle, oder nicht? Es könnte ihm dann passieren, daß er in eine Besserungsanstalt eingeliefert würde! Seine Mutter und sein Onkel kamen wahrscheinlich ins Ge-
fängnis, und sein Vater mit Sicherheit!
Die Vorstellung, daß das Haus verloren wäre, ebenso wie die Ländereien, die ihm versprochen waren, geister- te durch GianMarcos Denken. Nein, das wollte er sich nicht ausmalen! Es durfte einfach nicht geschehen!
Endlich sank er in einen unruhigen Schlummer.
Und wurde nicht lang nach Sonnenaufgang durch das Geräusch von Motoren geweckt. Er rannte zum Fenster und sah schwarzgekleidete Männer auf Motorrädern, die einen Polizeiwagen eskortierten. Als er zum Still-
stand gekommen war, stieg der erste Mitfahrer aus, ein
Mann mit einer Maschinenpistole; der zweite war der Maresciallo, der örtliche Polizeichef, ein vertrauter Besu- cher im Haus der Tessolaris — doch stets nur außer- dienstlich.
Nein!
Das Wort hallte so deutlich in GianMarcos Kopf nach, daß er sich einen Moment lang einbildete, es laut ausge-
sprochen zu haben. Doch es war nur der Brennpunkt ei- nes plötzlichen Entschlusses, der ihn gepackt hatte wie ein Schauder, der anfing und nie mehr aufhörte.
Nein, man wird meine Familie nicht wie gewöhnliche Ver- brecher einsperren!
In wilder Hast zog er sich an und rannte hinunter.
Daß er sich angezogen hatte, war ein Fehler.
GianMarco erkannte das in der ersten Sekunde, als er in die Eingangshalle kam. Die einzige andere Person im Haus, die schon aus dem Bett war, war das Dienstmäd- chen der Familie, Guiseppina, die die Tür aufgemacht
hatte; sie war immer als erste auf den Beinen, um den
Ofen in der Küche anzuheizen und das Frühstück vor-
zubereiten. Wenn dies ein ganz normaler Tag war, was sie vorgeben mußten, wieso war er dann um diese Stun- de schon angekleidet?
Nun, es war zu spät, um daran noch etwas zu ändern; er konnte nur noch seine Rolle so geschickt weiterspie-
len, wie es ging.
»Guten Morgen, Signor Maresciallo!« rief er aus. »Das Geräusch der Motorräder hat mich aufgeweckt, also dachte ich, ich gehe mal runter und sehe nach, ob ir- gend etwas Aufregendes im Gange ist.«
Der Maresciallo, ein stämmiger Mann mit beginnen-
der Glatze und einem dicken schwarzen Schnauzbart, bedachte ihn mit einem mürrischen Blick.
»Was Kinder in deinem Alter für aufregend halten, gehört nicht zu den Dingen, um die wir Erwachsenen uns unbedingt reißen«, brummte er. »Es ist eine häßli-
che Angelegenheit, die mich herführt, eine sehr häßli-
che Angelegenheit... Guiseppina, ich muß Sie bitten, Signor Tessolari aufzuwecken und ihm zu sagen, daß ich ihn sprechen möchte. Sofort!«
Mit weit aufgerissenen Augen, die Mißfallen und Beunruhigung ausdrückten, versicherte ihm Guisep- pina, daß sie seinem Wunsch sofort nachkommen wer-
de. Sie bat ihn, solange im Salon Platz zu nehmen, und beim Hinausgehen stellte sie murmelnd in Aussicht, daß der Kaffee in Kürze fertig sei.
Unsicher blieb GianMarco in der Halle stehen, bis sie wieder herunterkam und sich in die Küche zurückzog. Nach einer oder zwei Minuten kam Renato ebenfalls die Treppe herunter, wobei er noch den Gürtel seines Mor- genmantels zuband. Sein Gesicht war unbewegt wie das einer Statue, und in seiner Stimme schwang nicht die Spur eines Bebens mit, als er ausrief:
»Du bist früh auf den Beinen, mein junger Freund! Ich dachte,
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